Deutsche Rundschau 1955 – 1960 / Im Rückblick des Redakteurs IN: "Publizistik – Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung", Hf.2, 36.Jg. (April) 1991, S.156 ff.
Meine erste Bekanntschaft mit der Deutschen Rundschau (DR) war eine Seminarbekanntschaft. Professor Hans v. Eckardt, Direktor des Instituts für Publizistik an der Universität Heidelberg, diskutierte die Probleme der Camouflage anhand von Rudolf Pechels Aufsatzsammlung „Zwischen den Zeilen“. Das war 1948. Ich versuchte mich schon seit Herbst 1945 in Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen und war dem Problem in der Praxis begegnet. Beim Volontariat in einer französischen Lizenzzeitung, „Die Rheinpfalz“ (Neustadt/Hardt), hatte mich Chefredakteur Dr. Ernst Johann, ein Eckardt-Schüler, ins Schloß nach. Rastatt geschickt. Dort wurde ein Kriegsverbrecherprozeß gegen den Saar-Industriellen Röchling
eröffnet. Mich beeindruckten die buntgewandeten Kolonialsoldaten, die auf der barocken Schloßtreppe postiert waren, ungemein mehr als die blassen Angeklagten oder gar die Anklage. Wie dies den Pfälzer Lesern vermitteln? Die Franzosen waren schnell bei der Hand, unliebsame Texte mit unerwarteten Papierverknappungen zu beantworten. Wie also drucken, was nicht zu sagen erlaubt ist? Mein Ergebnis war kläglich. Alles mußte umgeschrieben werden.
Umso mehr bewunderte ich Pechels Talleyrand-Artikel, 1934, daß Europa noch niemals die Vorherrschaft eines Mannes oder Staates geduldet hat, seine wiederholten Beschreibungen deutscher Verhältnisse in der Form der Bolschewismus-Kritik und „Pour-quoi la guerre?“ Pechels persönliche Hintergründe kannte ich nicht. Zum Beispiel hätte mich seine Freundschaft mit dem 1934 von den Nazis ermordeten Faschisten Dr. Edgar Jung abgeschreckt. „Deutscher Widerstand“ war dem invaliden Vaterlandsverteidiger in seiner Komplexität noch unerschlossen. Meine Generation war erzogen, in politicis wie auf dem Gymnasium „p aut q“ zu denken. Jede Differenzierung musste mit Risiken erkauft werden, sie erschien auch nach dem Krieg noch riskant.
Pechel hatte zum Kreis um die Generaloberste Hammerstein-Equordt und Beck gehört, dessen politische Köpfe der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler und der frühere Reichswehrminister Geßler waren. Im April 1942 wurde er nach einer Kurierreise zum Generalfeldmarschall von Witzleben verhaftet. Lange vor dem 20. Juli 1944, an dem die Verschwörung scheiterte und damit der späte Versuch der alten Oberschicht, die verlorene Ehre wiederherzustellen.
1948 war der Herausgeber der DR eine Alibi-Figur des Bürgertums, geeignet, der weitverbreiteten Depression über das fast vollkommene Versagen unter der Diktatur zu begegnen. Mit Meinecke, Rothfels, Schlabrendorff, Niemöller, v.Hassel, geriet er aus der Einsamkeit fast unvermittelt in die Schlagzeilen. Wie Martin Niemöller war er von der kaiserlichen Kriegsmarine in seinem Habitus bestimmt, und, wie der Theologe, hatte der Germanist seine politischen Wurzeln im preussisch—deutschen Staatsgrund. Hitler, erfuhr ich später, blieb für ihn der „böhmische Gefreite“ (v. Hindenburg), der mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse sich schmückte, obwohl es im Bayerischen Armeeverordnungsblatt nicht verzeichnet war, wie schon Rundschau-Autor Werner Bergengruen im Vorwort zu „Zwischen: den Zeilen“ mit Ausrufungszeichen vermerkte.
Als Studenten interessierte uns die journalistische Leistung. Eckardt nannte uns auch eine Dissertation über die Anfänge der Zeitschrift. Sie war 1933 nicht mehr und noch nicht gedruckt worden, weil der Begründer der DR ein Jude war: Julius Rodenberg. Der Verfasser hieß Wilmont Haacke.
Redakteure der DR waren im Übergang zur Bundesrepublik Dr. Hanns-Erich Haack und Dr. Helmut Lindemann. Sie bestimmten mit neun (Haack), bzw. acht Beiträgen den 75. Jahrgang, der ins Jahr 1949 fiel. Pechel, Geleitwort plus vier Beiträge tönte das Generalthema der nächsten Jahre an: „Der Deutsche in Europa“. Hanns-Erich Haack war frankophil, später UNESCO-Vertreter der Bundesrepublik, Helmut Lindemann, „Die Schuld der Generale“, hielt die Verbindung zu den skandinavischen Staaten, zu England und USA, wo auch Pechels älterer Sohn, Eberhard Peter Pechel, dann als ARD-Korrespondent arbeiten sollte. Jürgen Pechel, der jüngere Sohn, starb Radiokorrespondent in Südamerika. Helmut Lindemann hat 1972 – 1976 das Ökumenische „Neue Hochland“ gemacht.
Der Westorientierung ging seit dem Bekanntwerden der sowjetischen Besatzungsgreuel strikter Antikommunismus voraus, noch ehe er zur Staatsdoktrin der Ära Adenauer erstarrte. Das Zuchthaus Bautzen war ein Symbol dafür; aber die Wurzeln reichten bis in die Spartakus-Jahre zurück. Nicht zufällig hatte Pechel in der Hitler-Zeit „Bolschewismus“ geschrieben, wenn er Nationalsozialismus meinte, und Eckardt 1941 ein Buch über „Iwan den Schrecklichen“ durch die Zensur gebracht, mit dem Hitler gemeint war. Einen anerkannten Gewaltherrscher durch seinesgleichen zu symbolisieren, ist ein magischer Versuch, mit der Wiederkehr der immer gleichen Unterdrückungsmechanismen fertig zu werden.
Nach der Trennung von Haacke und Lindemann, – über die Helmut Lindemann Auskunft geben könnte, – machte Pechel die Zeitschrift allein, bis er 1951 in Klaus Hoche (1925 – 1955) einen umsichtigen, jüngeren Redakteur fand. Hochs kränkelte von Anfang an. Sein Sonderheft „Neutralität“ (1952) mit schweizerischen, schwedischen, holländischen und deutschen Beiträgen diente der Wiederbewaffnung. Rudolf Alexander Schröder, den ich als patriotischen Hymniker in beiden Weltkriegen, „Heilig Vaterland in Gefahren…“, kannte; versah darin „Neutralität“ mit einem Fragezei-
chen. Das war mir verdächtig. Im gleichzeitigen regulären Juniheft 52 war Gerhart Pohl bemerkenswert, der die Liste der in der DDR verbotenen Bücher analysierte. Ich kam mit einem Aufsatz zu Wort, in dem ich den „Kalten Krieg“ als Verhinderung der Politik mit anderen Mitteln bezeichnete. Diesem Beitrag folgte ein Jahr später aus USA einer mit gleicher Tendenz gegen „Senator McCarthy“. Er wurde von Zeitungen nachgedruckt und war der Anlaß für Pechel, mir, als Hoche todkrank darniederlag, die Redaktion anzubieten.
Die Redaktionsräume lagen in Stuttgart, Hausmannstr. 38 einer aufgeteilten Villa der Jahrhundertwende in der beliebten Halbhöhenlage. Peches bewohnten die Belle Etage. Zu ihr gehörte ein kleines Gartenzimmer, das über den Dienstboteneingang zu erreichen war, und durch eine Kammer von der Wohnung getrennt war. Die Kammer enthielt das Archiv, das Gartenzimmer den Schreibtisch des Redakteurs und übervolle Regale. Als ich Thomas Mann nach seiner Stuttgarter Schillerrede 1955 mein Reich zeigte, stieß er mit dem Schuh an aufgestapelte Bücher und sagte: „Redakteur der Deutschen Rundschau, das ist schon was!“ Ich fand das
auch; aber was war es? Als Pechels Angebot kam, war ich Deutschlandkorrespondent für die Wochenzeitung „Haagse-Post“ und vertrat gleichzeitig eine Assistentenstelle für Soziologie an der „Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft“ in Wilhelmshaven. Geld war knapp, das „Wirtschaftswunder“ fand für Literaten, Journalisten und den wissenschaftlichen Nachwuchs auf dem Papier statt. Pechel bot DM 600,— und Zeilengeld. Das würde kaum für Wohnung, Ernährung und Auto reichen. Alles darüberhinaus gehende mußte anderswo erschrieben werden. Es gab bessere Offerten; aber nicht an einer Monatsschrift. Otto Suhr hatte für eine Dozentur an der „Hochschule für Politik“ mehr geboten, sie sollte. in die „Freie Universität“ eingegliedert werden; aber ich scheute vor der akademischen Laufbahn.
Die politischen Zeitschriften der Bundesrepublik boten kaum Vakanzen. Sie waren auf ihre Herausgeber fixiert, wie das von Anfang an gewesen ist. Wilmont Haacke hat deshalb mit Recht seine Monographischen Skizzen, soweit sie nicht Verbands- und Parteizeitschriften betreffen, mit den Herausgebernamen firmiert. Seine Studie über Julius Rodenberg und die „Deutsche Rundschau“ hatte ich inzwischen gelesen. So war mir der große Anspruch, eine natio-
nale Institution zu werden, wohl bewußt; aber es war auch klar, daß Pechels „Deutsche Rundschau“ ihn nicht ausfüllen konnte.
Wenn der Anspruch in der Bundesrepublik der 50er Jahre nur annähernd erreicht worden ist, dann durch eine amerikanische Zeitschrift, „Der Monat“, Sie verfügte über die Mittel und die Autoren, die den Übergang aus einem relativ geschlossenen deutschen Denken in den westlichen Pluralismus der Werte beschleunigen konnten. Im „Monat“ fanden die großen Gefechte statt, in den deutschen Monatsschriften eher die Scharmützel. Eine Ausnahme machte für drei Jahre (1955 – 57) Alfred Andersch mit „Texte und Zeichen“. Er war privilegierter Redakteur am Süddeutschen Rundfunk und konnte seine editorischen Vorsätze im Wechselspiel von Radio und Zeitschrift realisieren, d.h. mit Rundfunkhonoraren seine Autoren in den Stand setzen, lange an ihren Texten zu arbeiten, zu recherchieren, zu reisen.
Verglichen mit „Texte und Zeichen“ war Fischers „Neue Rundschau“, – 1890 gegründet als Überholmanöver für Rodenbergs „Deutsche Rundschau“, – politisch, in den 1950er Jahren eher diskret. Herausgeber Gottfried Bergmann Fischer und Redakteur Rudolf Hirsch legten größten Wert auf Erzählungen, Dichtungen und Dramatisches. Danach kam Literatur, Kunst, Wissenschaft.
Der Jahrgang 1955 verzeichnet zwei Aufsätze zur Politik und politischen Geschichte, einen von Friedrich Heer, einen zweiten von Karl Reinhardt, „Akademisches aus zwei Epochen“. Politik war marginal. Aesthetik wurde ganz großgeschrieben, — wer hätte von den beiden Verantwortlichen anderes erwartet, die ganz in der „klassischen Moderne“ aufgingen? Eine „Politische Chronik“, wie sie Samuel Saenger und Rudolf Kayser dreißig Jahre früher führten, kam da nicht vor. Mir schien die Distanz zum Tage, die Saenger der Zeitschrift auferlegt hatte, um sie von der Zeitung zu unterscheiden, in der „Neuen Rundschau“ der 50er Jahre eher übertrieben. Ich habe dann später, als ich eine Weile ihr Mitherausgeber war, gemeinsam mit Golo Mann versucht, sie etwas zu verringern. Viel brachte das nicht.
Weniger distanziert steuerten der ehemalige NR-Redakteur, dann via „Lancelot – Der Bote aus Frankreich“ Begründer des „Merkur“ gewordene Hans Paeschke und Joachim Moras diese „Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken“ in die Bundesrepublik. „Das Denken“ ist ja, weil nicht ganz zu vermeiden, in der Publizistik immer ein Anreiz, zusammenzubringen, was in den Werten divergiert. Moras kam von der‘ „Europäischen Revue“ des Prinzen Anton Rohan, die das Mitteleuropa-Konzept 1925 – 1944 favori-
siert hatte. Paeschke setzte auf deutsch-französische Aussöhnung. Mit Margret Boveri, Helmut Cron, Karl Korn, Hermann Proebst warben sie erstklassige journalistische Mitarbeiter. Literaturkritiker Hans Egon Holthusen „entdeckte“ den jungen Lyriker H. M. Enzensberger. Max Born und Robert Jungk schrieben im selben Jahr über das Atomzeitalter. Der Zeitkritik so verschiedener Denker wie Günther Anders, Hans Sedlmayer und Arnold Gehlen folgte der junge Habermas auf dem Fuße. Ich hätte wohl auf Gehlens Aufsatz über Hans Freyer gerne verzichtet, nicht aber auf den Vorabdruck aus Thomas Manns „Versuch über Schiller“ mit der Erinnerung an Schillers 100. Geburtstag 1859» „… ein nationales Fest, und sei das unsrige auch. Entgegen politischer Unnatur fühle das zweigeteilte Deutschland sich eins in seinem Namen.“ Das sah man in Bonn nicht gern, sowenig wie des Dichters Rede in Weimar. Dabei beseelte mich nicht, wie die Generationsgenossen Pechel und Th. M. , die Nationalität, sondern Oppositionsgeist gegen Bonn, das ich besser kannte als sie.
Politisch in weiterem Sinn waren auch das ehrwürdige „Hochland“ und die „Stimmen der Zeit“ aus dem katholischen, Heinz Flügels „Eckart“ aus dem evangelischen Lager. Unvergleichlich aber, zehn Jahre nach Kriegsende, die „Frankfurter Hefte“ von Eugen Kogon und Walter Dirks mit der Redaktion von W. M. Guggenheimer, Karl Boettcher und dem Verantwortlichen Hubert Habicht.
Frankfurt rächte sich sozusagen publizistisch dafür, daß es nicht Bundeshauptstadt geworden war. Die Vaterstadt der Rothschilds wurde wieder die Hauptstadt des Bankgewerbes. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ versuchte, sich als Nachfolgerin der „Frankfurter Zeitung“ zu profilieren. Aber diese hatte Berlin kritisch gegenübergestanden, erstere vertrat die Bonner Regierung. In die mit beiden Frankfurter Traditionen verknüpfte Universität kehrten mit Max Horkheimer, Sohn eines schwäbischen Bankiers, und Theodor W. Adorno sozialkritische Philosophen heim. Vor allem schauten die „Frankfurter Hefte“ der real existierenden Marktwirtschaft auf die Finger, damit sie, wenn schon nicht sauber, so doch einigermaßen sozial blieben, wie versprochen.
Das war ein politischer Auftrag, wie ihn keine der genannten Zeitschriften übernommen hatte, und nicht kopierbar . „In den FH haben wir uns bemüht, das darzustellen, was sich in der Gegenwart zuträgt und über sie hinausreicht — im Guten wie im Fragwürdigen, und herauszufinden, nicht einfach an Maßstäben abmessen zu wollen, wie es im einzelnen um das wichtige Gute und Fragwürdige bestellt sei. Deshalb spielt die Entwicklung der Gesellschaft eine so erhebliche Rolle in den Untersuchungen und Darstellungen, die wir veröffentlichen.“ So Kogon im November 1955 an seine Leser.
Frankfurt wär’s gewesen. Da schlug der Puls der Zeit. Bonn war 1955 eine hübsche Universitätsstadt mit vielen guten Weinstuben, in die sich nun Bürokratenheere ergossen, Berlin ein wilhelminisches Museum mit beschädigten Fassaden, von der politischen Denkmalspflege mit großem Aufwand restauriert, – weitab vom Verkehr.
Soviel zum engeren publizistischen Umfeld, das ich vor mir sah, als ich Pechels Angebot akzeptierte und nach Stuttgart reiste.
Dr. Rudolf Pechel, 1882 in Güstrow/Mecklenburg geboren, war mit siebzig ein imposanter Herr. Der mächtige, eckige Schädel,
mit leicht vorstehenden Backenknochen und schmalen Lippen war sorgfältig gescheitelt. Offiziersschnitt auch noch in Weiß. Darunter nahm sich die Fliege gut aus. Der Blick sondierte sein Gegenüber. Pechel lispelte ein wenig, wenn er sprach. Frau Madleen, mit voller Stimme, größer als der untersetzte Ehemann, hochhüftig, berlinerte mehr als er. In guten Stunden traktierte sie ihre Gäste mit dem Leierkasten, wie überhaupt ein Hauch von Berliner Exil über dem Paar lag, wilhelminische Architektur und die gespielte „Verworfenheit“ von Fritzi Massary und Max Pallenberg, von Claire Waldorf und „ick wundre mir üba jarnischt mehr“. Stuttgart kam nicht gut dabei weg mit seiner Halbhöhenlage, dann schon eher der gern gesehene Werner Finck, aus Darmstadt die Edschmids und in der Stadt der stetig ernsthafte Hermann Kasack, „Die Stadt hinterm Strom“.
Die Einzelheiten erfuhr ich später. Beim Vorstellungsgespräch wurde ich betrachtet wie ein junger Mann, der sich als Schwiegersohn bewirbt. So ähnlich blieb das Verhältnis zwischen Herausgeber und Redakteur auf gesitteter Distanz bis zum unguten Ende im Dezember 1960, das der Jüngere verursacht, der Ältere im Zorn per eingeschriebenem Eilbrief aus Lenk im Simmental nach Weiler im Allgäu vollzog. Ein alter Leser und politischer Freund,
Walter Hammer, hatte sich beschwert, und ich hatte rüde geantwortet.
Stuttgart also war nicht „dat Jelbe vons Ei“, wie Pechel sogleich spottete; aber die mageren Finanz- und Verlagsverhältnisse, die waren nicht so, daß der Lufttransport aus Berlin hätte organisiert werden können. Man hatte einen zuverlässigen Drucker in Baden-Baden gefunden und die betagte Tochter eines Kurmusikdirektors, Senta Hartlaub, als Vertriebsleiterin. Sie war eine gute Seele, wohnte aber auf dem steilen Schloßberg, wo für Büro kein Raum war. So stieg sie einmal im Monat herab, um in Stuttgart das Nötige zu besprechen. Satz und Umbruch gingen per Post. Man konnte sich auf sie verlassen. Das Telefon wurde nur in Notfällen benutzt, übrigens auch im Verkehr zwischen Redaktion und Autoren. Man lebte noch im Zeitalter der Besucher und Briefschreiber. Die Sprache wurde nach der Schrift gesprochen, vorschriftsmäßig. Bühnensprache – eine Wohltat fürs Ohr mit Möglichkeiten, den Sinn zu nuancieren, die heute außer Kurs geraten sind, weil der Kurs auf anderes zielt, als sich in der Sprache zu beweisen. Vor allem erleichterte sie, den Abstand zu wahren, der dem Umgang förderlich ist. Es waren also, nachdem wir uns über die äußeren Bedingungen geeinigt hatten, es gab da nicht viel Spielraum, redaktionelle Grundsätze zu besprechen.
Im Literarischen hatte Pechel, von Eberhard Schmidt promovierter Germanist, Präsident dann Ehrenpräsident der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt“, ebenso feste Ansichten wie in der Politik. Über Fontane, besonders den „Stechlin“ und die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, ging ihm nichts. Darüber konnten wir uns verständigen; aber als „stiller Teilhaber“ der „Eremiten-Presse“ eines anderen Berliner Exilanten, V. O. Stomps, schätzte ich in der Literatur mehr das Experiment als die Dauer oder gar die Theorie. Nun, Stomps kam aus Krefeld, Pechel aus Güstrow, und auch Wilmont Haacke wird zugeben, daß Leute vom Niederrhein häufig ein anderes Temperament haben als die aus Mecklenburg. – Nadler hin oder her. Die literarischen Autoren der DR waren zum großen Teil identisch mit denen der „Neuen Rundschau“, des „Merkur“ und der christlichen Zeitschriften: Werner Bergengruen, Reinhold Schneider, August Scholtis, Horst Lange, Gottfried Kölwel, Heinrich Böll, Martin Beradt, Martin Kessel, Hermann Kasack, Hermann Stahl, Wolfdietrich Schnurre, Elisabeth Dryander, Hugo Hartung, Rudolf Hagelstange, Ingeborg Drewitz, Otto Flake, Heinz Piontek, Max Krell, Otto von Taube, Otto Heuschele, Charlotte Tronier-Funder, Albrecht
Goes, Hans Daiber, F. T. Csokor, Hermann Lenz, Ernst Schnabel, Unveröffentlichtes des von der Gestapo ermordeten Gottfried Kapp und des wiederheimgekehrten Jacob Picard, Stefan Andres und andere Zeitgenössische. Als „Junge“ galten die Zwanzigjährigen, wie Christoph Meckel, Kristiane Schäffer, Peter Hamm, Horst Bingel. Gedichte kamen aus allen Generationen, Georg v. d. Vring, Wilhelm Lehmann, Oda Schaefer, Karl Krolow, Adolf Georg Bartels, Mascha Kaleko bis Walter Helmut Fritz, Jörg Steiner und Elisabeth Borchers. Eine Rundschau also, keine Richtung.
Die meisten Prosaisten schrieben auch Rezensionen. Einen eigentlichen Kritikerpapst, wie Holthusen im „Merkur“, gab es nicht. Franz Schonauer zeigte Ansätze hierzu für die deutschsprachige, Helmut Braem und seine Frau, Elisabeth Kaiser, für die amerikanische Literatur. Sie waren profunde Übersetzer, Die französische und italienische Literatur hatten verschiedene Liebhaber. Rodolfo Caltofen informierte über Spanien und Lateinamerika. Zur englischen Literatur kamen Beiträge von deutschen Emigranten, die dort verblieben waren, weil niemand sie aufforderte zurückzukehren: Wilhelm Sternfeld, Max Rieser, Jonas Lesser, Moritz Goldstein, Eric Singer, Gabriele Tergit. Hermann Kesten, an dem ein Verriss
aus dem Jahr 32 wieder gutzumachen war, gab „Was die Deutschen erzählen“, Moritz Lederer eine ständige „Theater-Rundschau“.
Im Rückblick hält der literarische Teil den Vergleich mit dem der „Neuen Rundschau“ und des „Merkur“ nicht aus. Jener war prätentiöser, dieser sorgfältiger gemacht. Wir wollten zuviel „Rundschau“: die Tradition, soweit sie in die Blubo-Falle nicht gelaufen war, das Exil und die Jugend. Für das Exil hat die DR viel getan und dafür manches gedruckt, was unter normalen Verhältnissen besser in der Schublade der Autoren geblieben wäre, wo es seit dreißig oder zwanzig Jahren lag. Andererseits hat die DR dadurch die Exilliteratur ins binnendeutsche Medium zurückgeholt, ehe sie nur noch ein literarhistorisches Interesse hatte.
In diesem Zusammenhang gehörten auch Werkessays wie der von Fritz Usinger über Walter Benjamins Schriften. Henry Shelness über Oskar Jellinek, Ludwig Freund über Reinhold Niebuhr und Egon Larsen über „Das deutsche Theater in London 1939 -1945“ erschienen im selben Heft, April 1957, im nächsten Kurt Kersten über „Das Ende Willi Münzenbergs“. Im politisch motivierten Essay waren wir den anderen über, ohne die Essayisten der Zeit zu vernachlässigen: Karl Kereny, Hermann Uhde-Bernays, Jean Gebser, Golo Mann, Erich Podach, Susanne Leonhard, Carmen
Kahn-Wallerstein, Gustav Rene Hocke, Eugen Gürster, Wilhelm Hausenstein, Emil Staiger, Heinrich Fischer u.v.m. Die belletristischen Beiträge waren häufig mit Zeichnungen illustriert, oft von Eva Schwimmer, die auch einen neuen Umschlag entwarf, grau-rot. Allmählich kam dann und wann eine Karikatur hinzu, von Paul Flora, Schöllhorn und anderen.
Das Papier blieb immer das gleiche, billiges Werkdruckpapier. Der von vielen Monatsschriften unternommene Versuch, schwindende Abonnentenzahlen durch aufwendigere Ausstattung anzuhalten, wurde erst unter der Herausgeberschaft von Jürgen und Peter Pechel und der Redaktion von Hans-Joachim Netzer und Burghard Freudenfeld im Scherz-Verlag zum Januar 19&3 begonnen, zwei Jahre nach meinem Ausscheiden. Es ist mir nicht bekannt, daß die Totalrevision des Lay-out bei irgendeiner gleichartigen Zeitschrift den gewünschten Erfolg gehabt hätte. Ist es untersucht worden? Neuer Wein in alten Schläuchen ist zum Sprichwort geworden, alter Wein in neuen Schläuchen dagegen nicht. Vielleicht gelten für Geistiges andere Regeln als für Waschpulver?
Was die Auflage betrifft, so rechnete ich 1955 mit 6000; aber die Angabe erfolgt ohne Gewähr, weil ich nie erfahren habe, wie viele Exemplare auf Kosten des Gesamtdeutschen Ministeriums oder des Bundespresseamtes in die DDR gingen.
1990 sagte mir ein Antiquariatsbuchhändler aus den „neuen Bundesländern“, die Vopo habe ihm immer beschlagnahmte Exemplare der DR verkauft. Das hat meine Auffassung vom Preussentum und Sozialismus korrigiert. Nun hoffe ich, einem Menschen zu begegnen, der die DR damals in der DDR gelesen hat und nachhaltig beeindruckt worden ist. Ich wollte doch eine politisch wirksame Monatsschrift machen.
Der Journalist interpretiert den Kalender von Tag zu Tag, in den elektronischen Medien von Stunde zu Stunde. Damit leistet er einen eminenten Beitrag zur sozialen Synchronisation, ohne die Gesellschaft unmöglich ist. Was er schreibt, ist für den Papierkorb des nächsten Tages, wenn er im Radio spricht, für den Moment des Zuhörens, wenn er Fernsehen macht, für den Augenblick.
Der Zeitschriftenjournalismus hat es so gut nicht. Die „Schrift der Zeit“ (Wilmont Haacke) hat nicht den Tag zum Thema, sondern die Woche, den Monat oder noch längere Abstände im kalendarischen Ritual. Wie da hineinbringen, was erwähnenswert erscheint? Die Probleme der Selektion wachsen umgekehrt zur Zeitspanne, weil das zur Verfügung stehende Papier mit ihrer Dauer relativ weniger wird. So klein kann man gar nicht drucken, um einen Monat auf 120 Seiten DIN A 5 zu bringen. Niemand wird damit rechnen. Umso größer die Erwartungen an die Auswahl. Sie kann nichts anderes sein als Bewertung der Zeitläufte durch die Redaktion. Diese bestimmt im Rahmen ihrer relativen Freiheit (Selbstbestimmung/Fremdbestimmung) welche Antwort, welcher Autor auf die zahllosen Mitteilungen von Welt und Umwelt gibt. Das Modell Sender-Medium-Empfänger bleibt untauglich, solange es nicht berücksichtigt, daß jede Mitteilung schon eine Antwort ist. Publikum ist nicht als eine Menge zu verstehen, der einer etwas vormacht. Es bildet sich im Wechselspiel von Mitteilung und Antwort über ein Thema.
Das Hin und Her der Kommunikationen konserviert und revidiert vorhandene Wertvorstellungen0 Im günstigsten Falle führt es zu gemeinsamen Beurteilungen. Rudolf Pechel sprach immer wieder von der Verständigung zwischen ihm und „seinen“ Lesern durch die Camouflage. Sein Kollege, Leopold Schwarzschild, hat sie 1932 für selbstverständlich erklärt. Damals wurde fast jeden Tag mit Hilfe von Brünings Pressenotverordnung eine Zeitung verboten. Die Sprache änderte sich unter dieser Bedrohung. „… aber die Geschichte des Journalismus beweist zur Evidenz, daß selbst in den Zeiten finsterster Zensur allerwege doch die Möglichkeit bestand, einen Gedanken irgendwie zum Ausdruck zu bringen. Zwischen dem gebildeten Schreiber und dem gebildeten Leser entwickelte sich nur ein neues Idiom: Worte, die bisher eine Temperatur von 3 Grad bezeichnet hatten, wurden für eine Temperatur von 30 Grad angewandt und rasch auch so verstanden; die Pfeile wurden nicht mehr. haargenau auf den Punkt abgefeuert, der getroffen werden sollte, sondern knapp vorbei, aber doch so, daß kein Mißverständnis über das eigentliche Ziel entstehen konnte. Kurzum, es bildete sich
nur eine neue Schreib- und Lesetechnik heraus, gewürzt sogar durch die Pikanterie der Verschleierung. Der Gedanke selbst wurde nie getötet, was gesagt werden sollte, konnte immer irgendwie gesagt werden … und während faktisch alles bleibt, wie es war, trifft die Keule nur den, der so unbegabt oder unüberlegt war, gelegentlich mal in die bisherige Sprachtradition zurückzufallen. Lohnt das? Hat das irgendeinen Sinn?“
Schwarzschild hatte sein „Tage-Buch“, als die Glosse am 16. Juli 1932 erschien, aus Preussisch-Berlin nach München verlegt, weil er von Bayern Widerstand gegen die Gleichschaltung des Reiches erwartete. Ein halbes Jahr später stellte sich der Irrtum heraus. Er ging nach Amsterdam und Paris und machte „Das Neue Tage-Buch“, als ob er seine alten Leser hätte. Die Leser der DR waren zehn Jahre nach Kriegsende Pechels Leser. Wenn er von ihnen sprach, nannte er sie „seine“, nicht „unsre“. Das schloß radikale Revisionen aus. Weil der Herausgeber schon seit 1947 den ehemaligen Reichskanzler Brüning favorisierte, – von dem er glaubte, er hätte Hitler verhindert, wenn Hindenburg ihn nicht entlassen hätte, – konnte der junge Redakteur, der ja 1932 „nicht dabei gewesen“! war, nicht 1957 das Brüning-Bild anders zeichnen. Es erschien wie die Ikonen von
Marx/Engels/Lenin im Ostblock, wie ein Bismarck-Denkmal oder „der alte Fritz“ von Menzel immer mit demselben Strich. Dies umso mehr, als der Altkanzler sich nach einem Professorengastspiel in Köln (ab 1951) wieder grollend nach Harvard zurückgezogen hatte, und sein ehemaliger Juniorminister, Gottfried („Tre“) Treviranus, immer wieder frisch ondulierte Neuigkeiten anschleppte.
Ähnliche Rücksichten waren gegenüber dem amtierenden Bundeskanzler nicht zu nehmen. Da hatte der Redaktor freie Hand. Aber Tendenzfragen beantworten sich durch Plazierung und Umfang. Die Qualität hängt ab von der Quantität. So schließt sich der Kreis: Was kommt ins Blatt, weil der Geburtstagskalender es verlangt, was vom Tage, was schuldet es der Antizipation? Die Politik in der DR bekam eine Seite Chronik, zehn Seiten unsignierte aktuelle Rundschau zum Eingang, und, nach Problemlage Hauptaufsätze verschiedener Provenienz. Was Exkommunist Richard Löwenthal unfein an Exkommunist Franz Borkenaus Kommunismusanalyse im „Monat“ als „Kremlastrologie“ verhöhnte, besorgten in der DR
zwei andere kommunistische „Renegaten“, Susanne Leonhard und Hans Jaeger. Er war aus der Londoner Emigration nicht zurückgekehrt und brachte sich mit einem eigenen Pressedienst durch, den ich auch für die Rubrik „Rundschau“ nahm. Wie in der Literatur legte die Redaktion Wert auf Autoren der Emigration, nicht nur der deutschen, zum Beispiel Josef Mackiewicz, „Der deutsche Komplex“ (April 56); aber hauptsächlich diese, wie Kurt R. Grossmann „Die moralischen Kräfte in Deutschland“ (Juni 195) Die Verständigung mit Polen, immer wieder gefordert, zog viel Hass auf uns. Die regelmäßige Wirtschafts-Rundschau von Friedrich Lemmer mußte notwendigerweise immer wieder politische Grundfragen anstoßen. Das „Wirtschaftswunder“ war so glänzend nicht, wie es im Nachhinein gemalt wird. Von seinen „Vätern“ kamen die Theoretiker Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow zu Wort. In der Darstellung seiner Verwirklichung durch die Arbeitskraft der gewerkschaftlich disziplinierten Arbeiter erreichte die DR nie die Prägnanz der „Frankfurter Hefte“. Die Entscheidung war gefallen. Die private Wirtschaftsplanung verfügte über den Staat. Was Theodor Eschenburg in der „Zeit“ die „Herrschaft der Verbände“ nannte, galt dem Versuch, den Staat aus seiner passiven Rolle herauszuholen und die Trennung
zwischen politischen Parteien und Wirtschaftsinteressen so deutlich zu machen, wie der Parlamentarismus sie braucht. Die DR hat von sich aus wenig dazu getan. Jaeger sah über den Kanal manches deutlicher als die Stuttgarter Redaktion. Sie war vordringlich mit dem Wiederaufkommen nazistischer Strömungen beschäftigt, d.h. damit, deutschnationale Geschichtsbilder zu korrigieren.
Deren Rückkehr war institutionell vorprogrammiert. Im April 1956 wandte sich der Dekan der Heidelberger Philosophischen Fakultät, H. G. Gadamer, mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit, weil zehn vakante Professuren nicht besetzt werden konnten. Das Gesetz nach Art. 131 GG, die Unterbringung vertriebener und im Zuge der Entnazifizierung amtsenthobener Beamter betreffend, schrieb vor, Vakanzen nur dann zu besetzen, wenn aus diesem Personenkreis ein sogenannter Vorspann ausfindig gemacht wird. „Leerstühle sollen mit Nullen besetzt werden, oder überhaupt nicht.“ (DR Mai 1956). Für die Universität war das fatal. Mit Recht opponierten die Studenten der nächsten Generation gegen autoritäre Umgangsformen und regressive Lehren, die wieder eingezogen waren. Der so genannte „Historikerstreit“ zeigte dann die mangelnde Reagibilität dieser Zunft auf die in den 50er Jahren wieder eingeschleusten Positionen. Ähnlich in der Justiz, in der Diplomatie und
nicht zuletzt der Presse. Wenn die Oberländer, Seebohm, Meerkatz Bundesminister werden konnten, und der Kommentator von Hitlers Rassengesetzen, Globke, Adenauers Ohr besaß, warum sollten dann die Zehrer, Wirsing, Sieburg et al, zuhause bleiben?
Da die Regierungskoalition im Hinblick auf die Bundestagswahlen von 1957 die Wähler der kleinen Rechtsparteien umwarb und sie dann schluckte, fühlten sich die „Ehemaligen“ allerseits ermutigt. Helmut Hammerschmidt, „Die Renazifizierung der Bundesrepublik“ (DR April 1956), gab die Besorgnis der Intellektuellen wieder. Bei den Redaktionen gingen Drohbriefe ein. Einen Nazi beim Namen zu nennen, wurde riskant. Da die KPD als verfassungswidrig verboten war, geriet ihre schöne Farbe rot in die Nachbarschaft des Hochverrats. Das Ganze war grotesk, Pechel wurde in Prozesse verwickelt, am Ende auch der Redakteur der DR, Gleichzeitig ignorierte das offizielle Bonn das inzwischen als vordringlich erkannte und anerkannte Problem der Volksgesundheit („Hunger im Überfluß“, Hilde Göbel, DR Mai 1957). Nach der „Zerreißprobe der Wiederbewaffnung“ (Arnold Künzli, Oktober 1955) war die Bundesrepublik in eine geistige Krise geraten, deren Auswirkungen mir heute noch nicht genug untersucht erscheinen.
Seit Mai 1956 trug ich in der monatlichen „Zeitschriften-Rundschau“ Material zusammen, um den Lesern den Überblick zu erleichtern. Zum 85. Geburtstag der Zeitschrift und einem eigenen 40jährigen Jubiläum als Herausgeber (April 1959) bezog sich Pechel auf den Gründer Julius Rodenberg und zwei Schweizer, Jacob Burkhards „Weltgeschichtliche Betrachtungen“ und Max Hubers Aufsatzsammlung „Glauben und Kirche“. Dann gab er seiner Enttäuschung über die ausgebliebene Selbstbesinnung der Deutschen Ausdruck: „Heute ist es fast so, daß wir vom Widerstand nahezu mit dem Rücken an der Wand zu fechten haben, wenn wir nicht völlig resignieren wollen. Das aber darf man nicht, wenn man nicht seine eigene Vergangenheit verleugnen will. Wir kämpfen weiter, aber fast nur als Einzelne und finden bei uns aufgezwungenen Gerichtsverfahren wahrlich nicht immer die Richter, die ihrem hohen Amte genügen.“ Darin stimmte er mit dem Oberlandesgerichtspräsidenten Richard Schmid überein, neben dem ersten Vorsitzenden des „Deutschen Journalisten-Verbandes“, Dr. Helmut Cron, einer der vehementen Kritiker der Justiz in Meinungs- und Pressefragen, beide in Stuttgart ansässig und den Redakteur ermutigend.
Jetzt 75jährig und deprimiert, baute sich Rudolf Pechel ein Chalet im Berner Oberland. Das Juniheft 1959 erschien mit der Redaktionsadresse Salmers/Allgäu, wohin ich gezogen war. Ohne meine Frau, Dr. Heddy Pross-Weerth, hätte der Doppelumzug aufs Land wohl das Ende der Bemühung bedeutet. Überhaupt kommt der Anteil der Frauen in der Redaktion kleiner Zeitschriften historisch gewöhnlich zu kurz. Ein verantwortlicher Redakteur braucht die Gabe der geistigen Vorwegnahme. Er muß beobachten und auswählen, umsetzen und schreiben. Letzteres tut er vielleicht selber aber alle anderen Funktionen, konzipieren, thematisieren, redigieren, brauchen den Dialog, wenn das Blatt nicht im Monolog des Herausgebers oder Redakteurs verkommen soll. Wer den „inneren Zensor“ Freuds nach aussen verlegen kann, hat Glück. Gegenlesen mit der Betonung auf „gegen“ ist das Minimum.
Jetzt erst wurden das Telefon wichtig und das Auto. Der Redakteur mußte reisen. Die Redaktionsarbeit nahm zu. Der Zeitungskiosk am Hauptbahnhof, der selbst der schwäbischen Metropole einen Hauch von Weitläufigkeit vermittelt hatte, war durch fleißiges Radiohören nur schwer zu ersetzen. Die Abos kamen spät; aber inzwischen „flutscht es bätter“, wie Pechel in seinem Jubiläumsbeitrag einen Landsturmmann Blüchers in der Schlacht an der Katzbach 1813 zitierte. Zehn Jahre nach der Gründung der beiden deutschen Staaten (Aprilheft 1959) schilderte der vertriebene jüdische Kaufmann, Fritz Grünfeld aus Tel Aviv, seine Besuchseindrücke . Er fand die alte Heimat nicht wieder, weil sie, außer auf der Bühne, eine andere Sprache sprach als vor 1933. Im selben Heft erzählte Heinz Markmann, was er mit der Sammelbüchse für das „Kuratorium Unteilbares Deutschland“ zu hören bekommen hatte. Interpretationen des Tages also, im Grunde Zeitungsfeuilletons. Der UNO-Berichterstatter Max Beer stellte „Die deutsche Frage im Lichte internationaler Erwägungen und Stimmungen“ dar.
Mehr als drei Jahrzehnte später sind sowohl die Tagesinterpretationen wie die langfristige Vorwegnahme Beers, der schon beim Völkerbund akkreditiert gewesen war, Material für Geschichtsschreibung geworden: „Die Beschäftigung mit deutscher und internationaler Politik während eines halben Jahrhunderts … hat uns auch gelehrt, daß die Behandlung politischer Probleme, die gleichzeitig moralische Probleme sind, – und die deutsche Frage ist wesentlich ein moralisches Problem -, von vornherein hoffnungslos bleibt, kann man sie nicht überzeugt und überzeugend in die Sphäre allgemeingültiger Moral heben.“ i960, im letzten „meiner“ DR-Jahrgänge, warnte der Westberliner Student Martin Jänicke, ASTA-Referent für Gesamtdeutsche Fragen, eindringlich davor, die westlichen Errungenschaften zu überschätzen, und die sozialen Fortschritte in der DDR zu übersehen. „Die wesentlichste Triebkraft der geistigen Entfremdung in beiden Teilen Deutschlands liegt darin, daß auf beiden Seiten nur eine Scheinauseinandersetzung stattfindet.“ Er überschrieb seinen Text mit einem Fragezeichen: „Wie soll es eigentlich weitergehen?“ Das war im August 1960. Es kommt mir im März 1991 ziemlich aktuell vor. Solche Fragen sollten Zeitschriften stellen; aber nicht zu spät.