Unter den skizzierten Bedingungen scheint es fast selbstverständlich, daß die Kommunikationsmittel als Instrumente betrachtet werden, die Lebenszeit anderer mit eigenen Mitteilungen zu besetzen und ihnen diese als Antwort auf ihren stets erneuerten Grundmangel aufzudrängen.
Die Medien als Instrumente der Religion, der Wirtschaft samt «Kulturindustrie» (1), Werbebranche und deren Unterabteilung Berufssport, — nicht zuletzt der Politik als Ordnungskraft des Gemeinwesens und Umverteilung der Herrschaft. Die Macht von Menschen über Menschen beginnt mit der Wegnahme der Lebenszeit anderer.
Der Ausdruck «Medienpolitik» bezeichnet der Kampf und die Mittel der Kommunikation. Medienpolitik will entscheiden, wer über die weitreichenden Mittel der psychischen Gewalt verfügen
soll, das heißt nach dem augenblicklichen Stand der Diskussion, wer imstande sein soll, indirekte und subtilen Zwang anzuwenden, der durch die menschliche Abhängigkeit von Zeichenrelationen vorgegeben ist. Ohne die Annahme, die Medien seien solche Mittel der psychischen Einwirkung auf andere, wäre Medienpolitik nur eine Bindestrichpolitik unter anderen, mit dieser Prämisse wird sie zu einer Voraussetzung aller nur denkbaren Politiken, und die Verfügungsgewalt über die Medien der vergleichbar der Verfügung der Polizei und Militär als den Mitteln der psychischen Gewalt des Staates, für die er ein Monopol beansprucht.
Als Instrumente der Herrschaft sind die Mittel der öffentlichen Kommunikation denn auch durch die Jahrtausende betrachtet worden. Konservative wie revolutionäre Überzeugungen des 19. und 20. Jahrhunderts setzten diese Tradition fort, um Herrschaft zu erhalten. Sie unterscheiden sich hauptsächlich darin, daß «erhalten» für die einen «bewahren» und für die anderen «bekommen» heißt. Die Auseinandersetzungen um Pressefreiheit reflektieren die Frage, ob der Staat neben seinem Monopolanspruch auf physische Gewalt einen ebensolchen auf «Gewalt über die Seelen» habe. (2)
Was immer und dagegen gesagt werden kann, einfach ist es, einen Zensor zu bestellen, der in der Annahme handelt, Absicht und
Wirkung koordinieren zu können, indem er Kommunikatoren beeinflusst und Komuniqués in Manipel verwandelt. Wer sich auf die Frage, «wenn nicht der Staat, wer dann»? einläßt, stellt zunächst fest, daß wissenschaftliche Diskussion von Massenkommunikation sich so weit von der vereinfachten Antwort des Zensors gar nicht entfernt hatte. Die Forschung interessiert sich hauptsächlich für die der Rezeption und die Effekte der Medien. Als Auftragsforschung macht sie ihre Ergebnisse wirtschaftlichen und politischen Interessen zugänglich und ersetzt dadurch die Zensur vor der Medien-Sinflut. In der Bundesrepublik ist Massenkommunikation Forschung überwiegend Auftragsforschung. Sie dient den politischen und unternehmerischen Entscheidungen, Fragen, die sich außerhalb politisch ökonomischer Nutzung erheben, werden selten gestellt. In Folge dessen weist die Forschungen den Tanz ums goldene Kalb hat nicht nur als die herrschende, sondern auch als rationale Kommunikationsform aus. Diese Ansätze stellen die Prämisse der instrumentalen Wirkung nicht infrage, man arbeitet mit ihr. Noch Lazarsfeld Kritik, daß die Medien die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen dazu bringen, sich mit den sozialen ökonomische Status quo abzufinden (3), zielt weniger auf die Voraussetzungen dieser Verhältnisse als auf Verbesserung der
Kontrolle durch Änderung der Verhältnisse, in deren Rahmen dann – wie ich fürchte – alles so weitergehen kann wie bisher.
Die marxistische Kritik verweist den funktionalistischen und positivistischen Ansätzen gegenüber der gesamtgesellschaftlichen Funktion der Ökonomie. Damit schließlich der herrschenden schon Rahmen der Wirtschaft eine etliche perspektivisch für beide und wirkt in diesem Zusammenhang komplementär, allenfalls als Korrekttiv. Die Auseinandersetzung selber erinnert an die Fehler der groben Verallgemeinerung aus sparsamen im empirischen Befund einerseits und an die Übergriffe schloastischen Denkens andererseits, wie Francis Bacom sie 1620 im «Neuen Organ der Wissenschaft» festgestellt hat: «Der Geist nämlich wird der Erfahrung bald überdrüssig und sucht seiner Bequemlichkeit wegen das Gebiet des Generellen. Diese Übel ist von der Dialektik herbeigeführt zum Glanz der öffentlichen Disputation.» (4)
Obschon sie mit Recht gesamtgesellschaftlichen Abhängigkeiten unterstreicht, können wir von der marxistischen Kritik keine Antwort auf die anstehende Frage nach der Instrumentalen Zwanghaftigkeit der Medien erwarten: Kapitalismuskritik setze sie voraus,
die Kritik selbst impliziert das politische Ziel eines neuen Staates, und wo der Marxismus zu Rechtfertigung neuer Staatlichkeit gediehen war, erfuhren wir, daß Zwang und Einschüchterung keineswegs abgenommen haben. (5)
Die herrschende «Neue Klasse» interessierte sich gerade für die Ergebnisse der Massenkommunikationsforschung, die im Kapitalismus als politische und unternehmerische Entscheidungshilfe erarbeitet wurde. Ökonomie und Politik verfeinern also mit Hilfe abhängiger Wissenschaft die Mittel dieser Gewalt, um sie in Propaganda und Werbung anzuwenden. Hier kann die Verfügungsgewalt über die Medien zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen geteilt oder ungeteilt sein.
Die Massenkommunikationswissenschaft arbeitet notwendig mit Stichproben, Durchschnitten und repräsentativen Umfragen, die beschränkte Aussagekraft haben, aber sie kann nicht verhindern, daß die Diskussion ihre Ergebnisse verallgemeinert und den ermittelten Durchschnittstyp zum Maßstab für die soziale Kommunikation erhebt.
Es wäre aber gut, wenn sie öfters daran erinnerte, daß der Durchschnitts Typus nicht der kollektive Typus ist, wie schon Emile Durkheim ausführte, und daß zwischen den beiden Typen, den «type collectif» und dem «type moyen» ein immenser Abstand besteht: «Das Durchschnittsbewusstsein ist medioker, sowohl vom intellektuellen wie vom moralischen Standpunkt aus; das kollektive Bewußtsein dagegen ist unendlich reich, da sein Reichtum in der ganzen Zivilisation besteht.» (6) Wissenschaft, die im Dienste von Politikern und Unternehmern immer nur den Durchschnitts Typus als Entscheidungshilfe liefert, trägt dazu bei, denn Type kollektiv zu verdrängen. Er kommt für sie nicht in Frage. Dementsprechend fallen politische und ökonomische Entscheidungen gegen die Zivilisation statt für das kollektive Bewusstsein.
Das von Durkheim so genannte kollektive Bewusstsein entzieht sich näherer Bestimmung, darum kann es auch nicht «inhaltlich gefüllt», noch einer Analyse unterzogen werden. Sicher ist, daß es nicht nur Dingen sich bildet, sondern an dem was Ernst Cassierer, daß verknotete «Gewebe menschlicher Erfahrung, das Symbolnetz» genannt hat: »Jeder menschliche Fortschrift im Denken
und in der Erfahrung verfeinert und verstärkt dieses Netz. Der Mensch hat nicht mehr wie das Tier einen unmittelbaren Bezug zur Wirklichkeit, er kann ihre gleichsam nicht ins Aug Angesicht blicken. Die unberührte Wirklichkeit scheint in dem Maße, indem das Symbol-Denken und -Handeln des Menschen reifer wird, sich ihm zu entziehen. Statt mit den Dingen selbst umzugehen, unterhält sich der Mensch in gewissem Sinne dauernd mit sich selbst. In der theoretischen wie in der praktischen Sphäre ist eine Situation die gleiche. Sogar im praktischen lebt der Mensch nicht in einer Welt harter Tatsachen unter nach seinem unmittelbaren Bedürfnisse und Wünschen. Er lebt vielmehr intim eingebildete Affekte, in Hoffnung und Ängsten, in Illusionen und Desillusionen, in seinen Fantasien und Träumen. ‹Nicht die Dinge beruhigen die Menschen›, sagt Epiktet, ‹sondern ihre Meinung über Dinge›.» (7)
Der Mensch als «animal rationale» postuliert, wird von Cassirer als «animal symbolicum» definiert. Diese Definition aus der ethnischen Diskussion des Menschen als Vernunftswesen heraus und erlaubt, ihn aus der empirischen Bestimmung der jeweiligen symbolischen Verknüpfung zu verstehen. Die er nicht länger für politische und unternehmerische Entscheidungen reduziert, sondern
im Zusammenhang mit Sprache, Kunst, Religion und Mythos als Fäden des Symbolnetzes verstanden, ohne das auch Politik und Wirtschaft nicht auskommen. Sie sind der Ort, wo die Wirklichkeit zum Gedanken wird und der Gedanke zur Wirklichkeit.
Ihr subtiler Zwang ergibt sich aus der Unentbehrlichkeit verschiedener Symbolismen für den Menschen, wobei der Sprache als dem Organ des diskursiven Denkens die Schlüsselrolle zukommt, wenn man sie nicht als nur rationale missversteht, denn auch «die Sprache drückt in erster Linie nicht Gedanken oder Ideen aus, sondern Gefühle und Affekte». (8) Das kollektive Bewusstsein, im materiellen Modus seiner Symbole dingfest gemacht, wird partiell einseitig, wenn wir isolieren, welches Symbol ihm zugänglich sind und welche unzugänglich. Sie relativieren damit die Politik auf die Kommunikation.
Die psychischen und physischen Mittel, die Politik anwendet um die Staatssubjekte die schon machen, fielen auf Regelung Kommunikation. Indem sie die Beweglichkeit der Individuen in der Theorie und Praxis einschränkt oder ausweitet, vergrößert oder verringerter Politik den Anteil ihrer Parteigänger und Statusobjekte an derconscience collectif im Sinne Durkheims.
Was hat dies alles mit Medienpolitik zu um? Antwort: entweder nichts oder alles. Nichts, wenn Medienpolitik in der bisherigen Weise nur als Umverteilung der Verfügungsgewalt verstanden wird. Den Anteil dieser oder jener Gruppe im Rundfunkrat oder auf dem Zeitungsmarkt zu verändern, kann nützlich, die doch immer nur ausgeweitete Kirchturmpolitik zu sein: in die Zwecke verstellen die Aussicht. Zwar gilt auch in der Politik, daß die Interessen sich der Idee ausliefern, indem sie sich auf sie berufen, aber im Konfliktfall wird diese Berufung zugeschnitten auf Partei-, Staats- oder Gruppenraison. Ihr gebührt der Vorrang vor dem allgemeinen Interesse an der Zugänglichkeit des kollektiven Bewusstseins, die auch das fundamentale Interesse der Demokratie ist. Mitteilung und Herrschaft haben unterschiedliche Tendenzen. Erstere zielt auf offener Verbreitung, Letztere auf Begrenzung in der jeweiligen Absicht, auf «Informationspolitik», die immer auch propagieren will.
Hier stellt sich die Frage nach der demokratischen Qualität von medienpolitischen Konzepten. Insofern Demokratie aus dem kollektiven Bewusstsein begründet wird, trifft sie die Entscheidung über die Gültigkeit der aus ihm abgeleiteten Maßstäbe durch Mehrheitsbildung.
Diese Maßstäbe sind letztlich nur als Leitbild oder Kommunikationswissenschaftlich als Schlüsselsymbole (9) erfassbar. Die Mehrheit entscheidet nicht über die Richtigkeit oder Falschheit dieser unweisbaren, unwiderlegbaren letztinstanzlichen Erklärungen, sondern über ihre Gültigkeit auf Abruf. Dadurch ermutigt sie immer andere Vorstellungen, sich gegen die jeweils gültigen durchzusetzen. Dies ist der große Fortschritt der Demokratie gegenüber autoritären Staatsformen, daß sie keine absolute Gültigkeit anerkennt, und kein Urteil abgibt über die letzten Sollensätze, die weder beweisbar noch widerlegbar sind. Damit entfällt die physische Gewalttätigkeit, die überall dort dominiert, wo Menschen versuchen, die Praxis auf ein Schlüsselsymbol auszurichten und im Abschluss Geltung zu verschaffen. Diese Gewalttätigkeit beweist die Ohnmacht der materiellen Gewalt gegenüber dem kollektiven Bewusstsein.
Demokratie als Friedensordnung gründet auf ihrer relativistischen Selbstbescheidung, der Anerkennung des kollektiven Bewusstseins als einer stets sich wandelnden Kraft. (10) Wo Medienpolitik sich diesem Grundsatz des demokratischen Denkens widersetzt und den Wert aus der Wirklichkeit partieller Verfügungsge-
walt ableitet, kann sie nicht demokratisch genannt werden. Es macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied, ob das Profitinteresse eines Verlegers oder der Herrschaftsanspruch einer Partei die Ursache ist, nach der die Begründungen gemodelt werden. Solche Medienpolitik ist falsches Bewusstsein, insofern sie den Teil für das Ganze des kollektiven Bewusstseins ausgibt.
Im Widerspruch zu der oben skizzierten Medienpolitik zielte der Ansatz, der hier vorgetragen wird, nicht auf partikuläre Verfügungsgewalt über die Medien und wie sie zu erreichen sei und zu behalten, sondern auch der Vermittlung des kollektiven Bewusstseins. Das läuft auf radikale Relativierung der jeweiligen Verfügungsgewalt hinaus, weil nur vermittelt werden kann, was erkannt ist. Also wird die Erkenntnis der Verfügungsgewalt verordnet. Aus diesem Ansatz ergeben sich folgende Konsequenzen:
Erstens: Nicht ein demokratisches Leitbild, das, wie Lazarsfeld ausführt, zum Dirigismus und zu Zwang Einschüchterung ebenso beitragen kann, wie das Gesetz der sogenannten freien Marktes (11), sondern die Zugänglichkeit wird zur zentralen Kategorie. Dringlichkeit heißt Entfaltung des symbolischen Handelns, wie primäre Beweglichkeit. In Ost und West weit entfernt von jener utopischen
«Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller ist» (Kommunistisches Manifest), werden uns die elektronischen Medien in die noch nie erträumtem Ausmaß von der Welt der anderen Kenntnis zu nehmen, wenn wir zusehen verstünden.
Insofern sind die Probleme der individuellen Verbesserung des durch das Denk depravierten Tieres, wie Rousseau den Menschen nannte, die Probleme der Kommunikationspolitik. Sie kann denen nicht Recht geben, die meinen, die durch Nachdenklichkeit bewirkte Entartung des Menschen vom Tierstamm dadurch korrigieren sollen, daß sie ihm das Denken abnehmen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob diese Menschenfreunde in einer kapitalistischen Werbeagentur oder in einem sozialistischen Büro hocken, wo bekanntlich das «höhere Bewusstsein» seinen Sitz hatte.
Zweitens: Die Zugänglichkeit hängt nicht nur von der Kommunikationsfähigkeit ab, sie ist deren Voraussetzung, wie wir es in der Publizistik der überwiegend mit reziprocken Verhältnissen zu tun haben: Wo Mitteilung unter Vermittlung im Spiele sind, bildet sich das eine am anderen, wie sich das Subjekt in der Begegnung mit der
Umwelt erneuert. Es geht also in der Kommunikationspolitik immer um die empirische Kommunikation mit ihren Faktoren Selbst- und Fremdbestimmung. (12)
Kommunikationspolitik betreiben heißt demnach nicht nur, sich die Konsequenzen für die Kommunikationsfähigkeit zu vergegenwärtigen, die aus politischen Zielsetzungen folgten. Sie verlangt, politische Mittel einzusetzen, um die Kommunikationsfähigkeit zu erweitern. Erweiterung der Kommunikationsfähigkeit ist keine Sache der Quantität,
sondern eine der Qualität.
Drittens: Wir nehmen am kollektiven Bewusstsein teil als an einem Bewusstsein anderer. Wie Gerechtigkeit sich nur am anderen beweisen kann, wenn sie nicht Selbstgerechtigkeit ist, so beweist sich unser Bewusstsein an den immer anderen. Die Abhängigkeit erfordert Anerkennung der anderen und zugleich Entschiedenheit der eigenen Stellungnahme.
Es ist sachlich zu sagen, daß die anderen vom Austausch ebenso abhängig sind wie wir, wenn auch in jeweils anderer Weise. Die anderen sind es, die uns etwas mit-teilen. Sie verlangen eine Antwort.
Sachlichkeit heißt Hinwendung zu den anderen, heißt Fragen und Antworten, was ist, ohne den intellektuellen Schmus programmatischer Verlautbarungen. Es darf nicht genügen, daß Meinungsfreiheit und Pressefreiheit verfassungsmäßig garantiert sind. Kommunikationspolitik muss fragen, wie es um die freie Wahl der Ausdrucksmittel in der Praxis steht.
Hierzu sind empirische Methoden brauchbar. Ich habe 1972 in Oberhausen versucht, die Fragestellung an einigen Forderungen für «Demokratische Medien» (13) zu verdeutlichen und gefunden, daß es keinen Fortschritt bringt, die Chefs auszuwechseln, wenn man die Stille bei ihrem eintreten beibehält. Sachlichkeit verlangt, daß wir die Symbolumwelt, die uns orientiert und motiviert, als Gewalt begreifen lernen.
Wir müssen uns fragen, warum dies oder jenes Bild an der Wand hängt, was die Stille beim eintreten des Chefs bedeutet, wie das Fernsehen Nachrichten serviert und wo wir sie empfangen. Erst daraus lässt sich das Ausmaß erkennen, indem wir anonymen Kräften ausgeliefert sind. «Ritualismus als Droge».(14)
Viertens: Kommunikationspolitik erscheint mithin als die Absicht, die Fremdbestimmung in der Kommunikation zurückzu-
drängen. Sie artikuliert Interesse an der Selbstbestimmung, das heißt aber schon Fremdbestimmung für diejenigen, die solches Interesse nicht teilen. Dies mahnt zur Vorsicht.
Da auch Politik symbolisches Handeln ist und in einem weiter höheren Maße, als gewöhnlich bemerkt wird, sich symbolisch äußert, stehen wir mit der Kommunikationspolitik vor der schweren Aufgabe, nicht nur die expressivem und die Instrumentalen Komponenten der Politik zu studieren, wie sie sich in den symbolischen Formen von politischem Rituale und politischen Mythos darstellen. Sondern darauf zu achten, welche politischen Konsequenzen die angestrebte Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit haben mag. Es ist leicht, Zwang und Einschüchterung nachzuweisen, aber es ist außerordentlich schwierig darzutun, ob direkter Eingriff oder die Symbolumwelt sie verursacht hat.
Auch die Symbolumwelt ist unerkannt verdorben. Ein großer Anteil politischen Verhaltens wird doch Rituale reguliert, von denen Demokraten glauben, sie dienten vernünftiger Beteiligung des Bürgers an den Geschäften, während in Wahrheit ihre Rationalität außerordentlich dürftig ist. Es steht also zu erwarten, daß die Medienpolitik alte Strukturen perpetuiert und in Kürze vor den nämlichen
Problemen stehen wird, die sie heute nicht löst, weil sie im Kampf um die Verfügungsgewalt außer Betracht bleiben. Profitmaximierung und Machtwillen sind als Antriebe der Medienpolitik nicht Ausschalter, aber sie sind nicht medienspezifisch. Medienspezifisch sind Mitteilungen und Antwort.
Die nächste Aufgabe der Kommunikationspolitik liegt nicht in der Umverteilung der Verfügungsgewalt über die Medien, sondern in der Zweckbestimmung der Medien. Hierüber ist ein Konsens zu erzielen.
Wenn es wahr ist, daß die Medien eine kognitive Dimension haben; und wenn erkennen und anerkennen Sache der Publizistik ist, und wenn diese Publizistik das kollektive Bewusstsein vermittelt, dann ist diese kognitive Dimension zu erforschen. Man muss sehen, wie man sie weitet und schützt. Die Loyalität dieser Arbeit gilt nicht politischen und ökonomischen Maximen, sondern der Erkenntnis. «Erkenntnismaximierung» ist die Parole.
Das geht zunächst die Medienarbeiter an, die Kommunikatoren. Sie müssen um der Chance der Erkenntnis willen geschützt werden. Das heißt nicht, daß die Debatte über die innere Pressefreiheit genügte. Sie war längst überfällig. Man darf nicht hoffen, aus der inneren Presse sofort bessere Journalisten zu bekommen, keine Organisation ist freier als die Kommunikation, die sie konstituiert, und um freiere Kommunikation zu haben, muss der subjektive Faktor freier werden, und umgekehrt.
Solange noch die Kinder nicht sehen und hören und sprechen lernen, statt passiv an Gerät zu kleben, werden wir auch keine Journalisten und Regisseure haben, die Zeichen setzen, wie weiland Domosthenes. Deshalb ist Medienkunde als Schulfach für alle Schularten zu fordern. Erst auf verbesserter Basis mitverbreiteter Einsicht kann man Instanzen errichten, die in ihrer Loyalität gespalten und zu weiterführenden Konsens fähig sind, Instanzen, die mehr sind als ein Alibi für medienpolitische Verlegenheit.
Der Weg dahin ist lang und es kann sein, daß wir ihn aus den Augen verlieren, weil sie die rascher Folge zu erwartenden neuen Kommunikationsmittel uns vor Fragen stellen, die ad hoc beantwortet werden müssen. Um so wichtiger erscheint mir die langfristige Perspektive.
Literatur:
(1) Theodor W. Adorno, Resume über Kulturindustrie. In: ders., Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt / M 1967, S. 60 ff.
(2) Otto B. Roegele (Hrsg. Unter Mitwirkung von Peter Glotz), Pressereform und Fersehstreit. Texte zur Kommunikationspolitik von 1832 bis heute, Gütersloh 1965. Rupert Breitling/Winand Gellner (Hrsg.), Politische Studien zu Öffentlichkeit, Medien und Politik, Gerlingen 1988 (Festschrift Faul).
(3) F. Lazarsfeld, Am Puls der Gesellschaft, Wien 1968, S. 64 f.
(4) Francis Bacon, Neues Organ der Wissenschaft (Übers. T. Brück), Darmstadt 1962, S. 29 Vgl. zur Aktualität Michael Hofmann, Uncommon Sense. Zur Kritik von Öffentlichkeit als demokratisches Idol, Mainz 1988 (Kommunikationswissenschaftliche Bibliothek 11).
(5) Adam Schaff, Marxismus und das menschliche Individuum, Wien 1969, S. 269
(6) «On croit trop souvent que ce qui est général est social et inversement que le type collectif n‘est autre chose que le type moyen. Tout au contraire, il y a entre ces deux types une distance immense: la conscience moyenne est médriocre, ztant au point de vue intellectuel et moral, la concience collective au contraire, est infinement riche
de toute la civilisation.» E.Durkheim, L’Année Sociologique, tome XI, Paris 1910, S.45
(7) E. Cassierer, Essay on Man. Deutsch Was ist der Mensch? Stuttgart 1960, S. 39.
(8) Ebd., S. 40.
(9) H.D. Lasswell, D. Lerner, Ids Pool, The Comparative Study of Symbols, An Introduction. Sford/Cal, 1954, S. 14. und H.D. Lasswell, D. Lerner, H. Steier (Hrsg.), Propaganda and Communication in World History Bd III. A pluralizing World in Formation, Honululu 1980.
(10) Ich folge hier Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, Leipzig 1932, S. 24 f. In diesem Zusammenhang sehe ich auch Ritualisierung von Konflikten in der Demokratie durch die Massenmedien, wie durch politische Institutionen.
(11) Lazarsfeld, ebenda. S. 85, 102.
(12) Pross, Publizistik, Neuwied 1970, S. 23 ff. Für die Entwicklungen von Fremdzwängen zu Eigenzwängen vgl. Norbert Elias, Der Prozess der Zivilisation (2 Bd) Frankfurt / M 1976.
(13) Lazarsfeld, ebd., S. 68
(14) Demokratische Medien in: Aufgabe Zukunft, Qualität des Lebens. Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der IG-Me-
tall, 11. / 14.4.1972 in Oberhausen, Frankfurt / M 1973, Bd. 8, auch Zwänge, Essay über symbolische Gewalt, Berlin 1981.