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Gesellschaft der Jugend (Memoiren)
aus: Memoiren eines Inländers, 1923-1993, München 1993, S. 136 ff.
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Gesellschaft der Jugend
























Gesellschaft der Jugend

»Im Formenschaffen waren wir groß. Jetzt kommt der Inhalt«, hatte tusk-Koebel 1932 im ersten Heft der geliebten Zeitschrift »Der Eisbrecher« geschrieben: Ein »gefährliches Jungvolk entsteht, unbestechlich, unbezähmbar.« Dann hatten uns aber 12 Jahre hindurch die Formen bestochen und gezähmt für fremde Zwecke! »Kunst, Kampfgeist und Naturgeschichte« sollten wir Knaben in uns vereinigen, »dann werdet ihr Träger der blauen Montur ein schweres Schwert. Im großen Streit der Zeit wird es den entscheidenden Streich tun. Der Verurteilte wird es heulend durch die Luft sausen hören. Dann hat es ihn getroffen. Eure Fahrten müssen euch an den Feind führen und nicht in die Etappe. Jede Nacht muß ihre Melodie bekommen. Jeder Tag seine Entdeckungen. Der Eisbrecher fährt voraus.«

1932 von einem Kommunisten geschrieben, bürgerliche Knaben begeisternd, nahm sich das nach dem großen Morden eher spöttisch aus. Elitäres Geschwätz. Aber daß jede Nacht ihre Melodie bekommen und jeder Tag seine Entdeckungen, daß man Kunst, Literatur, Tiere, Blumen, Sternbahnen, Licht und Leben achten und beachten sollte, galt. So gründeten wir im Frühherbst einen Verein, der Gesellschaft der Jugend« hieß, aber ein »Bund« sein sollte. Der

amerikanische Jugendoffizier für Nordbaden, Mr. Grossman, gab mir eine Lizenz und eine für »Boy Scouts« gleich dazu. Es wurde kein revolutionärer Club, aber auch keiner der Apolitie. Die Zwanzigjährigen Ursel Krauth, Volker May, Ursel Wolff, Hannelore Kessler und noch ein paar Ältere aus den unterschiedlichsten Bünden der Vorkriegszeit, Hans Helmut Nohlen und seine Frau, Henning Wocke, Günter Beckmann – waren alle vom Kriegs- und Arbeitsdienst gezeichnet. Ein Veteranenverein von jungen Leuten …

Wir trugen zusammen, was verborgen geblieben war: Charlie Friedrich seine Aquarelle, Wolfgang Braunschweig und ich unsere Gedichte, Rolf Kauth Druckgraphik, Werner Schäfer sang Shanties, so gut er konnte, und handelte sich dafür den Namen ein. Die Madchen hatten es schwerer, sich ihrer Erziehung zur »Kameradin« zu entledigen. Zwar diskutierten sie laut und deutlich mit, aber in der ersten öffentlichen Dichterlesung tauchte in der Heimatstadt von Marie Luise Kaschnitz und trotz der rührigen Verlegerin Inge Stahlberg, die Manuskripte von uns wollte, keine Dichterin auf. Dabei saßen sie zahlreich bei unserem getreuen Mentor, dem jüdischen Gymnasialprofessor Uli Bernays, der überlebt hatte. Ihm widmeten wir die Kunstausstellung im Winter 1945/46, als die Menschen ganz andere Sorgen hatten.

»Kultureller Nachholbedarf« in der Sprache der Konsumgesellschaft. Wir suchten, was uns die Staatsjugend verweigert hatte, Spielraum für Nähe und Distanz, eine Gruppe, die Intimität erlaubte, aber nicht erzwang. Wir sangen schwermütige Lieder, um im Takt Kontakt zu finden, nicht im Marschtakt vorangetrieben. Wieder »Lieder der Eisbrechermannschaft« von 1933, gar den »Zupf« von 1909. Lebensstil: woher nehmen, wenn nicht stehlen? Eine Vereinssatzung mußte sein, das verlangte die Lizenz, die mit unklaren Gedanken der »Umerziehung« erteilt worden war; aber wir wollten doch endlich nach »eigener Bestimmung« sein, wie schon die »Freideutsche Jugend« von 1913 in ihrem Protest gegen den Jahrhundertpomp der Völkerschlacht von Leipzig. Also mußten wir uns am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen, eine Münchhausentour unternehmen.

Waren wir Nazis? Wir schlössen es nicht länger aus, als ich Oskar Loerkes Sammlung »Vom deutschen Geist« von 1940 mitbrachte und daraus Schelling, »Über das Wesen deutscher Wissenschaft«, vorlas: »Der Deutsche zeigt seine angeborene Treue selbst im Verkehrten, es nicht verlassend, sondern ausbildend bis zur vollkommenen Erscheinung der Nichtigkeit. Die Ausartung alles Hohen und Erhabenen, die Erlöschung desselben bis auf den Begriff

selbst in weltlichen Geschäften und Dingen ist ein Beweis mehr von seiner Konsequenz. Daher haben hier verderbliche Grundsätze auch weit verderblicher eingewirkt und in der Tat die ganze Masse der Nation verkehrt wie ein wenig Sauerteig eine ganze Masse säuert…«

Wahr, an Konsequenz im Verderblichen hatte es nicht gefehlt, uns nicht und nicht anderen. »Meine Ehre heißt Treue«, proklamierte die SS in ihrem schmucken Schwarz. Die Zusammenhänge waren mir jetzt klarer als 1942 bei der ersten Lektüre im Seuchenlazarett. Aber gab es solche »angeborenen« Nationaltugenden überhaupt? Positive, wie Treue, die ins Negative getrieben wurden? Darüber mußte man sprechen. Daß die Rede frei sein konnte in solchen Fragen, das machte den »Bund« aus. War nicht die Annahme von fixen Nationaleigenschaften das gleiche wie die Grundthese der nazistischen Rassenideologie?

Der Winter 1945/46 war die Zeit, die Sprache wiederzufinden, den sichernden Blick auf unerwünschte Mithörer zu unterlassen. Unbefangen miteinander zu reden, war das erste, was wieder oder neu zu lernen war. »Denn es gibt«, notierte damals Marie Luise Kaschnitz, »Zeiten, in denen schon das Sprechen eine Kühnheit ist, ein Akt des Willens, eine heftige und leidenschaftliche Äußerung des Lebens schlechthin… Die Bedrückung, unter der wir stehen, ist ungeheuer. Sprechen wir uns frei und versuchen wir, damit das All der Schöpfung freizusprechen von der unermeßlichen Anklage der Sinnlosigkeit und Grausamkeit, die auf der Erde zu herrschen scheint. Beginnen wir noch einmal mit dem Worte ›Ich‹«

Sich freisprechen hieß nichts anderes als den Druck loswerden, der zwölf Jahre lang jede Äußerung belastet hatte …

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