Im April 1930 forderte die zwölfköpfige Reichstagsfraktion der NSDAP die Todesstrafe für „literarischen Landesverrat“. Nach den Wahlen im September desselben Jahres zog sie mit 107 Abgeordneten in die gesetzgebende Körperschaft ein. Somit hatte die Hitlerpartei seit der Reichstagswahl von 1928 fünfeinhalb Millionen Stimmen gewonnen, hauptsächlich aus der bürgerlichen Mitte und Rechten in agrarischen Wahlkreisen. Stärkste Partei blieb mit 143 Sitzen die Sozialdemokratie. Die katholischen Parteien, das Zentrum und die Bayerische Volkspartei (BVP) konnten ihre Stimmanteile halten, wobei freilich die antisemitische Propaganda der Bayern von derjenigen der Hitler-Bewegung kaum zu unterscheiden war.
Der Wahlsieg vom 14. September 1930 machte die Nazis zur stärksten Kraft der „Nationalen Erhebung“. Prominente wie der Kaisersohn Prinz August Wilhelm („Auwi“) von Preußen, der Banker Schacht und große Teile der Studentenschaft setzten auf die braune Karte. In der Septemberausgabe 1930 der Süddeutschen Monatshefte überholte der gefeierte Kriegsdichter Ernst Jünger Thomas Manns „Zivilisationsliteratur“ aus den Betrachtungen eines Unpolitischen von 1918 und gab der Hoffnung Ausdruck. Deutschland werde für den „Zivilisationsjuden“ eine strengere Lösung finden als der italienische Faschismus. Er höre um sich ein leises Wandern, man rüste zur Reise ins Dritte Reich, vermerkte Kurt Tucholsky.
Der branchenübliche Opportunismus des antizipierenden Gewerbes nahm 1930/31 eine braune Tönung an. Die Leidensgeschichte der deutschen Publizistik begann nicht erst am 30. Januar 1933 mit der Ernennung des aus Osterreich zugewanderten Adolf Hitler, geboren 1889, zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, geboren 1847. Sie ist ein Teilaspekt des von 1914 bis 1945 währenden „Krieges“, und was die Meinungs- und Pressefreiheit betrifft, ja die menschenrechtliche Grundlage des Gemeinwesens überhaupt, eine Art Selbstmord auf
Raten. Die Weimarer Verfassung kannte den Begriff „Pressefreiheit“ nicht. Im zuständigen Artikel 118 erhielt jeder Deutsche „das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern“. Die Verfassungsväter behandelten die Pressefreiheit als eine Spielart der Meinungsfreiheit. Sie unterstellten die Pressefreiheit als Ganzes einem „Reichspressegesetz“, also einem jederzeit in parlamentarischer Prozedur und durch Verordnungen abänderbaren Gesetz. Darunter hatte die Weimarer Presse ebenso zu leiden, wie unter der Einschränkung der Meinungsfreiheit auf die „Schranken der allgemeinen Gesetze“, die den Polizeieingriff in Veröffentlichungen unter dem Vorbehalt „in den Schranken der allgemeinen Gesetze“ ermöglichte.
Die Machtübergabe an Hitler änderte an dieser Praxis zunächst wenig. Da die Pressefreiheit in der Verfassung nicht ausdrücklich vorkam, brauchte sie nicht außer Kraft gesetzt zu werden, und weil die Meinungsfreiheit nur in den „Schranken der allgemeinen Gesetze“ garantiert war, genügten allgemeine Gesetze, um sie weiter einzuschränken. Die in der historischen Literatur gepflegte Vorstellung vom jähen Absturz der deutschen Republik aus einem freiheitlich-
demokratischen Rechtsstaat in die Hitlerdiktatur ist eine Schutzbehauptung für die Millionen Mitwirkenden an der „nationalen Erhebung“, wie zur Rechtfertigung einer keineswegs lupenrein demokratischen Politik vor Hitler.
Die Angaben über die Zahl der Zeitungen im Deutschen Reich vom 30. Januar 1933 schwanken zwischen 3.400 und 4.700. Die Abweichungen ergeben sich einesteils aus der Schwierigkeit, bei lausenden von kleinen und kleinsten Blättern mit Auflagen von wenigen hundert Exemplaren und unregelmäßiger Erscheinungsweise zwischen Zeitung, Zeitschrift und Flugblatt zu unterscheiden. Zudem sind nicht mehr alle Erscheinungsorte auszumachen, da das Druckereigewerbe als Träger der „Pressevielfalt.“ zwischen 3914 und 1933 einen tiefgreifenden Wandel durch neue Techniken, Kapitaltransaktionen und politische Eingriffe erfuhr.
In der Regel war die Zeitung auch nicht Haupt-, sondern das Nebenprodukt der auf Einzelaufträge angewiesenen kleinen Akzidenz-Druckereien, die seit dem 19. Jahrhundert mit Amts- und Geschäftsdrucksachen lebten. Beides waren bestimmende Abhängigkeiten, und zwar schon zu einer Zeit, als frühe Anwälte der politischen Presse postulierten, sie dürfe kein Gewerbe sein, sondern
müsse dem freien Gedanken dienen. Sie war immer eine Freiheit zwischen Gewerbe und Staatsform.
Ihrem lokalen Geschäftsbereich entsprechend, bezeichneten sich die lokalen Zeitungen politisch überwiegend nach den vorwaltenden Mehrheitsbekenntnissen, wie bürgerlich, neutral, vaterländisch, amtlich, um keine potentiellen Druckereikunden auszuschließen. Mit Recht hat der Historiker Norbert Frei 1980 in seiner Untersuchung der nationalsozialistischen Gleichschaltung der bayerischen Presse darauf hingewiesen, daß solche Selbsteinschätzungen nicht auf parteipolitische Unabhängigkeit schließen lassen, weil sie nicht erfaßbare, regional verschiedene Grundierungen und Interpretationen enthalten. So muß beispielsweise der Einfluß des katholischen Klerus und der Bayerischen Volkspartei höher eingeschätzt werden, als es die Zahl von 95 Zeitungen der BVP und 17 des Bauernbundes vermuten läßt, die sich Ende 1932 in Bayern zu diesen Organisationen bekannten.
Orientierte sich die politische Richtung auf diese Weise vorwiegend an der Finanzkraft und politischen Honorigkeit oder was dafür galt, so folgte die Berichterstattung dieser Tendenz mit der zusätzlichen Auflage, daß sie wenig kosten durfte. Redaktionen waren überwiegend Einmannredaktionen in Reichweite des Druckereibe-
sitzers und Sammelstellen für Kurzbeiträge, die von den lokalen Interessenten, Veranstaltern, Vereinen. Ämtern selbst verfaßt und zugetragen wurden. Wer in die Zeitung kommen wollte, mußte nicht nur etwas veranstalten, sondern oft selbst darüber berichten.
Diese Praxis, die inzwischen Hunderttausende von Public-Relations-Firmen in aller Welt ernährt, wurde um 1930 von den Nationalsozialisten in den kleinen deutschen Zeitungen nachdrücklich durchgesetzt. Es kam nicht selten vor, daß ein Trupp informierter SA-Leute den unaufmerksamen Redakteur auf seine Chronistenpflicht hinwies. Hitlers immer wiederholte Herabwürdigung des Journalistenberufs und die Stereotypen von der Schädlichkeit der Presse nährten die Angst, den Paternoster der „nationalen Erhebung“ zu verpassen. „Deutschland erwache!“ hatten die Alldeutschen schon 1882 gerufen. Subtiler klang 1932 in den Schriften des Tat-Kreises der Soziologiestudent in Heidelberg, Giselher Wirsing, der wenig später in SS-Uniform die Münchner Neuesten Nachrichten redigieren sollte, über „Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft“ zwischen Baltikum und den „Dörfern Mazedoniens“. Die Zukunft könne nicht allein von der Geographie bestimmt werden, weil jeder Raumbegriff Berechtigung und Inhalt aus seiner politisch-soziologischen Bestimmung erhalte.
1933 folgte der langjährige Frankreich-Korrespondent der Frankfurter Zeitung, Friedrich Sieburg, mit einem nationalistischen Feuilleton in Buchform „Es werde Deutschland“. Er widmete es seinem jüdischen Verleger, Heinrich Simon, als erstem des „Kameradenkreises“ in bitterem Zweifel, ob das Vaterland sich von Befleckungen der rohen Gewalt und des Eigennutzes je wieder reinigen lasse. Gleich in der Einleitung weinte der Autor und schrie vor Zorn, „daß wir den Krieg verloren hatten“. Darauf folgten 300 Seiten Front Soldatenromantik „An das ewige Deutschland“. Ein interessantes Dokument nationalistischer Propaganda, die Gefühle der Besiegten aufzurühren, damit diese sich erhöben.
Die 1933-1938 unter der Fuchtel des Reichskulturwartes, Hans Hänkel, erschienenen jüdischen Gemeindeblätter, Zeitschriften, kleinere und große Zeitungen, wie Jüdische Rundschau (1896), Hamburger Israelitisches Wochenblatt, das 1935 nach Berlin umzog, die vom „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ seit 1922 edierte CV-Zeitung und der Schild des „Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“ (1919-1938 mit etwa 40.000 Mitgliedern) erreichten 1933 ca. 500.000 von der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ (1933) gezählte deutsche Juden. Bei Beginn der Deportationen 1941 weist die Statistik noch die Zahl 163.000 auf. Als 1943 die
Reichsvertretung aufgelöst wurde, war die Zahl auf 31,000 gesunken. Die jüdische Presse hatte aufgehört zu existieren. Hitlers Drohung, im Kriegsfall die Juden zu vernichten, erfüllte sich im Völkermord. Von den Leitern der Reichsvertretung überlebten nur Leo Baeck und Moritz Henschel. Im Auftrag des Leo Baeck Instituts hat der Zeitzeuge Herbert Freeden 1987 in Die jüdische Presse im Dritten Reich nicht nur die ungeheuerliche Bedrängtheit ihrer Aussagen für die Nachwelt festgehalten, sondern auch die Zusammenarbeit unterschiedlich motivierter Presseorgane in der großen Not —eine Pflichtlektüre für deutsche Journalisten.
Der Konzentration der Macht und der Medien im „Dritten Reich“ entsprach die Zerstreuung der verfolgten Schriftsteller und Journalisten übe Europa, Nord- und Südamerika, bis nach Japan (Ernst Löwith) und Neuseeland (Karl Wolfskehl). An einen Zentralverlag war nicht zu denken und an ein Zentralorgan erst recht nicht. Beides verhinderten nicht nur die materiellen Verhältnisse und die Entfernung zwischen den Exilierten, sondern auch deren Differenzen. Man rechnet mit mehr als 400 Zeitschriften, die meisten kurzlebig und viele hektographiert oder maschinengeschrieben.
Das Exil sprach mit vielen Stimmen. Es kam, ganz im ursprünglichen babylonischen Wortsinn, einer Enthauptung der in Deutschland unterworfenen Massen gleich. So fanden sich deren unterschiedliche Parteiungen, Interessen und Bildungsgrade in den Widersprüchen der Emigranten wieder. Als „jüdisch-marxistisch“ von den Nazis ausgesondert, waren sie weder alle jüdisch, noch alle marxistisch, aber alle Deutsche und als solche suspekt, wo immer sie Asyl suchten.
Mit dem Stigma ihrer deutschen Herkunft behaftet, in deutscher Sprache geschrieben und oft mit großen technischen Schwierigkeiten von fremdsprachigen Druckern hergestellt, wollten die Zeitungen und Zeitschriften des Exils über die Lage im „Reich“ berichten, ihre Gastländer vor den Machthabern warnen, nach Deutschland hineinwirken und nicht zuletzt die Exilierten sammeln. Ihre Erfolge waren gering.
Am ehesten kam den genannten Zielsetzungen der Aufbau in New York nahe, der sich aus dem Nachrichtenblatt des dortigen Deutsch-jüdischen Clubs 1939 zu einer Wochenzeitung entwickelte. Seine Auflage stieg mit der deutsch-jüdischen Einwanderungsquote auf etwa 30.000 Exemplare an. Sie wurde hauptsächlich in den USA gelesen. Die Zeitung hatte aber Abonnenten in allen fünf Kontinenten. Seit April 1939 von Manfred George geleitet und dem Karikaturisten Ludwig Wronkow vertrieben, konnte der Aufbau zu seinen ständigen Mitarbeitern u.a. Hannah Arendt, Carl Misch (Vossische. Zeitung), Julius Bab, Kurt Pinthus, Kurt Kersten, Heinz Pol, Immanuel Birnbaum, Herbert Weichmann, Max Osborn und Ludwig Marcuse (Frankfurter Generalanzeiger) zählen. Frühere Ullstein- und Mosse-Journalisten als ständige Mitarbeiter „konkurrierten“ mit 300 gelegentlichen Beiträgern aus der Emigration, die der Aufbau wiederum mit der Produktion exilierter Schriftsteller vertraut machte. Unpolitisch, aber demokratisch im Sinne der amerikanischen Tradition wollte der Aufbau sein. Das hat seine Verbreitung in Amerika gefördert und ihn in der Europaberichterstattung auf den pragmatisch-amerikanischen Standpunkt gehoben, im Besitz von Wahrheit und Gerechtigkeit die Alte Welt unter dem Gesichtspunkt ihrer Nützlichkeit zu betrachten.
Anders der Neue Vorwärts, der den verbotenen Vorwärts ab Juni 1933 in Karlsbad fortsetzte. Damit war die Redaktion hautnah an den Ereignissen in Deutschland. Was nicht ungefährlich war, denn die Gestapo verschleppte deutsche Emigranten über die Grenze zurück, um sie der „Gerechtigkeit“ zuzuführen. Der Philosoph Theodor Lessing wurde im Karlsbader Exil ermordet. Die SPD hatte damit gerechnet, die Hitlerregierung werde bald abgewirtschaftet haben, sah sich aber dann — durch aus Deutschland regelmäßig eingehende Berichte — bald eines Schlechteren belehrt. So gab der Exilvorstand der SPD ab April/Mai 1934 zusätzlich bis April 1940 Deutschland Berichte der Sopade (Erich Rinner/Fritz Heine), bis März 1938 in Prag, darin in Paris heraus. Sie sind 1980 gedruckt worden und eine wichtige Quelle zum Verständnis der Meinungsbildung unter Hitler. Der Neue Vorwärts wurde zuerst wegweisend von Friedrich Stampfer redigiert. Im Herbst 1937 verbot die tschechoslowakische Regierung, ihn auf der Straße zu verkaufen, und im Dezember forderte Präsident Benesch die Sopade auf, das Land zu verlassen. Man ging in Leon Blums Volksfront-Paris. Dort redigierte Curt Geyer den Dienst . Nach der französischen Niederlage im Mai 1940 floh der Rest des Parteivorstands nach London, wo er im März 1941 mit anderen zur Union der deutschen sozialistischen Gruppen in Großbritannien fusionierte, Nachkriegsdeutschland vor Augen …
Wie der Neue Vorwärts wurden andere Exilzeitschriften durch diplomatischen Druck oder von der vorrückenden Wehrmacht zum Ortswechsel genötigt. Die Weltbühne hatte schon seit 1932 eine Ausgabe in Wien. Damit komme nicht Berlin nach Wien, sondern die Sozialisten zum Sozialist, hatte Tucholsky sie eingeleitet. Sie sollte bei einem Verbot der Berliner Ausgabe weiterarbeiten und erschien danach als Wiener Weltbühne unter der Redaktion des Trotzkisten Willy Schlamm. Er brachte sie als Neue Weltbühne (NWB) nach Prag, um dem Austrofaschismus auszuweichen.
Im März 1934 folgte ihm Hermann Budzislawski unter nicht ganz geklärten Umständen – wie überhaupt Redaktionswechsel gewöhnlich schwer zu klären sind. Budzislawski wollte „wenigstens vorübergehend antagonistische Elemente in einer oppositionellen Bewegung“ zusammenfassen, um damit die Macht zu erringen.
Das war die Losung der Kommunisten. Wie sie setzte die NWB die Fäulnis und das baldige Ende des Faschismus voraus, um die Einheitsfront zu ermutigen. Während Leopold Schwarzschild im Neuen Tage-Buch nach dem österreichischen „Anschluß“ im März 1938 Europa verloren sah, und Golo Mann in der Zürcher Zweimonatsschrift seines Vaters, Maß und Wert, den Triumph des heimgekehrten Hitler in Wien als europäische Katastrophe beschrieb,
warnte Ernst Bloch am 10. März 1938 in der NWB davor, die Lage auch noch künstlich zu schwärzen. Es habe sich gezeigt, daß nicht einmal Wien so leicht zu werfen sei. Durch das Ende der Tschechoslowakei nach Parts vertrieben, billigte die NWB noch dem Hitler-Stalin-Pakt russische Staatsräson zu, freilich ohne sie zu teilen, und wurde bei Kriegsausbruch von den französischen Behörden eingestellt. Das Neue Tage-Buch (Paris/Amsterdam) von Leopold Schwarzschild konnte dagegen bis zum deutschen Einmarsch in Frankreich erscheinen. Es setzte Das Tage-Buch fort, das Schwarzschild, von Hause aus Wirtschaftsredakteur in Frankfurt, zuerst mit dem Wiener Theaterkritiker Stefan Großman beim jungen Ernst Rowohlt, dann allein in Berlin herausgegeben hatte. Schwarzschild vertrat die Marktwirtschaft und angesichts der Machtübergabe an Hitler die militärische Intervention der Westmächte, ehe das Deutsche Reich voll aufgerüstet sein würde. Die Beschwichtigungspolitik des Westens tat er als gefährliche Illusion ab, und die „zwei Diktaturen“ Hitler und Stalins setzte er gleich, ehe sie sich verbündeten. Er beschimpfte Mitexilanten, wie Lion Feuchtwanger, maßlos, weil sie auf die Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland hofften.
Ähnlich wie sein Mitarbeiter Joseph Roth in seinen letzten Lebensjahren in der Restauration des Habsburger Universalreiches das Heil suchte, empfahl Schwarzschild im Juni 1939 für den Nachkrieg „für eine sehr geraume Weile“ eine „Mentoren- und Kuratorenrolle“ der Sieger über Deutschland, damit es Demokratie erlerne. Daß Hitler unterliegen werde, schien ihm nach dem Überfall auf Norwegen 1940 vollends klar, der den kriegsnotwendigen Zugang zum Eisenerz doch nicht hatte sichern können. Die Seemächte würden siegen.
Thomas Mann hatte im NTB u.a. die Essays „Bruder Hitler“ und „Zwang zur Politik“ veröffentlicht. Emil Ludwig, Hermann Kesten, Walter Mehring, Ludwig Marcuse, Rudolf und Blader Olden, Ödon von Horvath, Joseph Roth, Heinrich Mann, Klaus Mann, Alfred Döblin und Alfred Polgar trugen Literarisches bei. Eine besondere Rubrik zählte die Neuerscheinungen der Exilliteratur auf. Die Schwierigkeiten in Deutschland kommentierten Martin Joos, Hugo Bieber und der Herausgeber. Das NTB war nur eine von über hundert periodischen Druckschriften der Emigration, die zwischen 1933 und 1940 in Frankreich hergestellt wurden. Auch ein Jahrhundert nach Heine und Börne war Paris die Hauptstadt des deutschen Exils; aber die Lage der Asylanten verschlechterte sich
durch neue Tendenzen innerhalb von sieben Jahren rapide. Gustav Regler, Lion Feuchtwanger, Arthur Koestler, Alfred Kantorowicz und andere haben das beschrieben. Schließlich wurden sie sogar für den unerwünschten Krieg verantwortlich gemacht.
Als Lokalblatt der Emigration erschien das Pariser Tageblatt schon ab 12. Dezember 1933 sieben Mal in der Woche unter Chefredakteur Georg Bernhard (Vossische Zeitung) mit dem Anspruch einer Zeitung für alle Deutschen außerhalb der Kommandogewalt des Hitlerreiches. Das Pariser Tageblatt war eine „richtige“ Zeitung mit deutlich unterschiedenen Ressorts und Anzeigenseiten. Zu den häufigen Mitarbeitern zählten Kurt Caro (Berliner Volkszeitung), der Theaterkritiker Alfred Kerr, Ernst Feder (Berliner Tageblatt), Helmut von Gerlach (Welt am Sonntag, Weltbühne), Paul Westheim (Das Kunstblatt).
Mit einer bürgerlich-liberalen Grundtendenz ohne erkennbare Sympathien für die „Volksfront“-Politik erschien das Tageblatt bis zum 14. Juni 1936, Es kam durch eine Intrige Bernhards und seiner Redaktion gegen ihren russisch-jüdischen Verleger Wladimir Poljakoff ums Leben. Bernhard hatte dem Russen aus nicht ganz geklärten, vermutlich Beteiligungsgründen, vorgeworfen, er habe mit den Nazis verhandelt. Das war gelogen, wie Schwarzschild öffentlich
machte. Poljakoff wurde in langwierigen Standesprozeduren rehabilitiert, und die Fronde um Bernhard rückte mit ihrer Neugründung, Pariser Tageszeitung, redaktionell etwas nach links. Bernhard gab die Chefredaktion Ende 1937 an Carl Misch ab. Letzte Ausgabe: 12. Februar 1940.
Die Pariser Emigrantenszene ist nicht zu verstehen ohne zwei Publikationen, die mit dem kommunistischen Gegenspieler Hugenbergs. Willi Münzenberg, verbunden waren. Münzenberg war seit seiner Propaganda für die „Internationale Arbeiterhilfe“ 1921 bis zu seinem Ausschluß 1937 sicherlich der interessanteste deutsche Kominternfunktionär. Als Antwort auf Goebbels‘ Berliner Gauzeitung Der Angriff brachte er mit Bruno Frei, dem Chefredakteur des verbotenen Münzenberg-Blattes Berlin am Morgen , ab April 1933 den Gegen-Angriff mit den Erscheinungsorten Prag, Zürich. Paris heraus. Der Gegen-Angriff richtete sich gegen die Sozialdemokratie als Wegbereiter des Faschismus, die Trotzkisten, die Kapitalisten und mit intensiver Beziehung zum Widerstand in den reichsdeutschen
Betrieben gegen die Hitler-Diktatur: Die „Einheitsfront der Arbeiterklasse“ werde das Deutsche Reich ein zweites Mal revolutionieren, dieses Mal nach dem Vorbild der stalinistischen Sowjetunion. Als der Gegen-Angriff am 14. März 1936 zum Erliegen kam, wurde die bis zum Anschluß im Saargebiet erschienene Deutsche Volkszeitung als Nachfolgeorgan angekündigt. Sie erschien dann in Prag als Wochenblatt, 1945 wieder in Berlin mit Lizenz der SMAD.
Vom früheren preußischen Finanzminister Otto Klepper, der dann 1947 in Frankfurt die „Wirtschaftspolitische Gesellschaft“ (Offene Welt) ins Leben rief, übernahm Münzenberg dessen Deutsche Freiheitsbriefe und machte daraus die Zukunft als Tribüne einer nichtkommunistischen „Volksfront“ (12. Oktober 1938 bis 10. Mai 1940) für ein neues Deutschland und ein neues Europa. Damit war der Titel von Maximilian Hardens gleichnamiger Zeitschrift wieder auf dem Markt. In Nazideutschland hatten Fritz Klein und Paul Fechter ihn 1933 für ihre Deutsche Zukunft usurpiert, wie ja überhaupt die politische Futurologie in jenen Jahren der Polit-Apokalyptiker eine eminente Rolle spielte.
Es führte keine Brücke vom Wort, das Brecht, Bredel und Feuchtwanger im Moskauer Jourgaz-Verlag 1936 als Nachfolger der Neuen Deutschen Blätter (Prag) und Klaus Manns Die Sammlung ankündigten, zur Zweimonatsschrift Maß und Wert (Hrg. Thomas Mann und Konrad Falke) bei Oprecht in Zürich. Sie wollte, in Zeiten kundigsten Anreißertums und einer revolutionären Propaganda-Schmissigkeit, in der alles Angriff, Vorstoß, Umbruch und junger Morgen‘ ist oder sich doch triumphierend so nennt (…) das Maß verehren, den Wert verteidigen, das Freie und Kühne lieben und das Spießige, den Gesinnungsschund verachten — ihn am besten und tiefsten verachten, wo er sich in pöbelhafter Verlogenheit als Revolution gebärdet.“ (Nr.l, Sept./Okt. 1937)
Auf die revolutionäre Pose in allen Lebenslagen verstand sich trefflich der erste Chefredakteur der Pariser Zukunft, Arthur Koestler (BZ am Mittag). Die Programmdiskussion für Nachkriegsdeutschland kreiste um das bis heute aktuelle Problem der sozialen Gerechtigkeit in der Demokratie. Zu den ständigen Mitarbeitern zählten Max Beer (Deutsche Allgemeine Zeitung), Paul Sering (d.i. Richard Löwenthal), Wilhelm Wolfgang Schütz, Manès Sperber, Ludwig Marcuse, Hubertus Prinz zu Löwenstein und Julius Stein-
berg. Koestlers Nachfolger als Chefredakteur wurde Werner Thormann (Rheinisch-Mainische Volkszeitung, Deutsche Republik).
Thormanns Chefredaktion machte die Zukunft nicht zu einem katholischen Blatt, wie sie Friedrich Muckermann (Der Grat) unter wechselnden Titeln von Holland aus ins heimatliche Münsterland schickte, um später mit seinem Deutschen Weg ganz Westeuropa zu beliefern. In der Schweiz redigierte Waldemar Gurian (Kölnische Zeitung) vom Oktober 1934 bis Sommer 1937, als ihm Otto Michael Knab (Land- und Seebote Starnberg) nachfolgte, hektographierte Deutsche Briefe. Gurian wurde in den fünfziger Jahren, nunmehr Professor an der Universität Notre-Dame, Indiana, ein vielzitierter Analytiker des Kommunismus. Zum katholischen Exil zählte auch der rheinische Jungkatholik Theo Hespers, der ab November 1937 zwei Jahre lang Kameradschaft für die Bündische Opposition in Deutschland herausgab. Es ging darum. Jugendbewegte zu sammeln.
„Die wir sammeln wollen“, schrieb auch Klaus Mann im ersten Heft seiner Literaturzeitschrift Die Sammlung (September 1933 bis August 1935), „sind unter unseren Kameraden jene, deren Herzen
noch nicht vergiftet sind von den Zwangsvorstellungen einer Ideologie (…) Wer diese Dummheit und Roheit verabscheut, bleibt deutsch — oder wird es erst recht —; auch wenn ihm von dem mißgeleiteten Teil der eigenen Nation dieser Titel vorübergehend aberkannt wird. Eben für dieses verstoßene, für dieses zum Schweigen gebrachte, für dieses wirkliche Deutschland wollen wir eine Stätte der Sammlung sein — nach unseren Kräften.“ Obwohl Andre Gide, Aldous Huxley und Heinrich Mann dem Unternehmen Pate standen, — wie überhaupt hervorragende ausländische Schriftsteller und Politiker in der deutschen Exilpresse mitwirkten — konnte die Sammlung nicht gelingen, nicht die der Exilanten, noch die der Deutschen überhaupt: Betrachtet man die deutsche Presse von 1933 bis 1945, so brachten die Exilblätter jedoch ein wenig Licht in sehr viel Dunkelheit.
Eine erweiterte Fassung des Themas ist Bestandteil der Studie des Autors: „Zeitungsreport. Deutsche Presse im 20. Jahrhundert“, die 2000 im Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger (Weimar) erschien.
Weitere Literatur:
Norbert Frei, Nationalsozialistische Eroberung der Provinzpresse. Gleichschaltung, Selbstanpassung und Resistenz in Bayern, Stuttgart 1980;
Norbert Frei/ Johannes Schmitz, Journalismus im Dritten Reich, München 1989.
Herbert Freeden. Die Jüdische Presse im Dritten Reich. Frankfurt a. M. 1987.
Hans Albert Walter, Deutsche Exilliteratur 1933-1940, Bd. 4: Exilpresse, Stuttgart 1978;
Hanno Hardt/Elke Hitscher/Winfired B. Lerg (Hrsg.), Presse im Exil. Beiträge zur Kommunikationsgeschichte des deutschen Exils, München/New York/London/Paris 1979;
Lieselotte Maas; Handbuch der deutschen Exilpresse 1933-1945, Hrsg. Eberhard Lämmert, Bd.4: Die Zeitungen des deutschen Exils in Europa von 1933 bis 1939 in Einzeldarstellungen. München 1990;
Wolfgang R. Langenbucher/Fritz Hausjeil (Hrsg.). Vertriebene Wahrheit. Journalismus aus dem Exil, Wien 1995; Exil. – Forschung Erkenntnisse Ergebnisse.
Edita Koch/ Fritjof Trapp (Hrsg.). Frankfurt a. M. I-VIII Jg. 1998.