»Mehr Programmauswahl – mehr Meinungsfreiheit!”, lautet eines der häufigsten Argumente der Beführworter des kommerziellen Rundfunks. Sie erwecken den Anschein, als gelte es, in den Ätherwellen eine Vielzahl von Programmen einzuführen, die der Vielzahl der Druckschriften gleiche. In der Auseinandersetzung schrumpft diese Vielzahl dann gewöhnlich auf 20 oder 30 Programme zusammen, die das Postregal angeblich blockieren und die dann auch noch durch besondere Aufsichtsorgane reglementiert werden sollen, wenn sie eingeführt sind.
Abgesehen davon, daß dieses Kontrollbegehren eine widersprüchliche Konsequenz aus dem angeblichen Nichtfunktionieren der öffentlichen Kontrolle im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zieht,
wirft der angepriesene Ätherpluralismus zwei beantwortbare Fragen auf: Erstens die Frage nach Gleichartigkeit und Verschiedenheit von elektronischen Trägern (Signalen) und Papier.
Vom Papier sagt man, es sei geduldig. Man könnte auch sagen, Papier ist ein stilles Signal. Papiere, die beieinander liegen, stören sich und andere nicht; Papier macht kein Geräusch. die Ätherwellen machen auch kein Geräusch; aber ihre Benutzung in den audio-visuellen Medien beruht darauf, daß sie Geräusche transportieren können. Das beansprucht nicht nur die Sinne derjenigen, für die eine jeweilige Botschaft bestimmt ist, sondern aller, die in Reichweite sind. Akustische Signale unterscheiden ich vom Papier, indem sie sich stören. Wellen sind ungeduldig. Deshalb gibt es internationale Ab-machungen mit Frequenzzuteilungen und Senderstärken, von denen jeder Amateurfunker weiß, daß sie ihren guten Sinn haben, auch wenn sie die Zulassung beschränken. «Wellenchaos» ist eine Realität, die niemandem nützt.
Der Vergleich mit den Druckschriften scheitert also an der Andersartigkeit der Signale. Was wir Medienfreiheit nennen, und wovon wir Gebrauch machen sollen, weil Freiheit eine Aufgabe ist, die nur im Wagnis sich verwirklicht, ist der allgemeine Zugang zu differenzierte Kommunikationsmittel innerhalb ihrer technisch differenzierten Möglichkeiten.
Die zweite Frage, die der Vergleich von Rundfunk und Presse stellt, zielt nach der Entwicklung des Pluralismus im Pressewesen. Welches Vorbild wird da herangezogen? Was kann man aus der Entwicklung der Druckschriften für den Rundfunk lernen? In welches Medienkonzert kommen die 20 oder 30 neuen Programme, die angeblich unverzichtbar sind? Die Antwort geht wieder von der Beschaffenheit der Signale aus.
Es scheint, daß deren technische Entwicklung durch die Jahrtausende dem Prinzip der Verringerung des Trägeraufwandes folgt. Der Bote wurde durch optische und akustische Zeichenrelais ersetzt; ihnen folgte die Kabeltelegrafie, dann die drahtlose.
In der periodischen Berichterstattung, die als Distribution organisiert ist, folgte der Presse der Hörfunk und ihm das Fernsehen: Gegenwärtig erleben wir, wie die Post uns den ehrwürdigen Brief abgewöhnen will, indem sie das Telefon mit Fernkopierten, Teletext, Videotext anreichert, das Briefporto verteuert und zugleich die Zustellung verlangsamt, weil der Brief den unökonomischen Zusteller, den aufwendigen menschlichen Boten erfordert.
Die Tendenz, den Signalaufwand für den Sender zu verringern, ist bestechend; aber sie hat ihre eigene Ökonomie, die sich aus in den erforderlichen Geräten investierten Kapitalien und der innovatorischen wie der zum Betrieb erforderlichen Arbeit ergibt. Die ökonomischen, politischen und sozialen Kosten der Geräte, die den Signalaufwand für die einzelne Mitteilung ermöglichen, sind enorm. Der Signalgeber muss sie vorstrecken und bestrebt sein, den potentiellen Empfänger zu veranlassen, den für ihn verringerten Signalaufwand zu bezahlen. Das ist der Kern der gegenwärtigen Debatte: dem Volk einzureden, daß es finanzielle Mittel und eigene Lebenszeit zur Teilnahme an einem neuen technischen System aufbringen soll, das es wenigen ermöglicht, dieses Konsumentenpotential leichter zu erreichen.
Verringerter Signalaufwand auf Seiten der Produzenten von Mitteilungen muss durch vermehrten Aufwand auf der Konsumentenseite bezahlt werden. Das kann auf zweierlei Weise geschehen: Erstens, durch die Vermehrung der Zahl der Abnehmern der Mitteilung. Sie decken alle zusammen den Aufwand des Produzenten. Zweitens, durch die Verkürzung der Mitteilung auf dem zur Verfügung stehenden Papier, beziehungsweise der Sendezeit. Jeder einzelne
Konsument erhält weniger Einzelmitteilung. Beide Tendenzen gemeinsam kennzeichnen die Massenkommunikation als die massenhaft produzierte und verteilte Kommunikationsart.
Ob der Gesamtaufwand dann in irgendeinem sinnvollen Verhältnis zu den transportierten Symbolen steht, ist eine offene Frage, die Frage nach der Qualität der Mitteilung.
Sie ist danach zu bewerten, ob die übermittelte Botschaft vom Empfänger für seine Bedürfnisse genützt werden kann. Kann er sich nach ihr richten (Information), oder hilft sie vielleicht einem psychischen Mangel für eine Weile ab (Unterhaltung)? Wenn die Mitteilung beides nicht vermag, hat der Konsument zwar für den Aufwand des Produzenten bezahlt; aber er hat nicht dabei für sich gewonnen. Die subjektiven Bedürfnisse des Menschen sind ungleich zu dem ausgezählten Bedarf, mit dem die Signalökonomie rechnet. Sie zielt auf wachsende Abnehmerzahlten bei verkürzten Mitteilungen. Verkürzte Mitteilung heisst Vermehrung des Überflusses an Mitteilung bei geringerem Papierverbrauch und kürzerer Sendezeit für die Einzelmitteilung. Damit schwindet die Deutbarkeit: In der Sprache schwindet die Ausführlichkeit der Begründung, aus dem Bild schwindet die Darstellung er Umstände zugunsten eines Details.
Verringerter Singnalaufwand mindert die Bedeutung in der Einzelmitteilung, die der Konsument empfängt Er sieht sich von Kommunikationen überschwemmt, die er nicht deuten kann, weil sie seinem intelligenten Organ diesselben Schwierigkeiten machen wie da auch so ökonomisch Kleingedruckte den Augen.
Die gegenwärtige Tendenz sei an drei Medien erläutert: am Buch, an der Presse und am Fernsehen.
Vom Jahr 1955 auf das Jahr 1975 stieg die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland jährlich erscheinenden Buchtitel um rund 181% von 16 600 auf 46 763. Von den 45 000 Titeln des Jahres 1976 waren 37 628 Neuerscheinungen. Mit diesen Zahlen liegt die Bundesrepublik an dritter Stelle der Buchtitelproduktion aller Staaten.
Die hohe Zahl kommt hauptsächlich durch die Serienproduktion von Buchreihen zustande, die bei verhältnismäßig kleinen Einzelauflagen, die rasch wieder vom Markt verschwinden, das Buch der periodischen Berichterstattung annähern. Hierfür sind die Reihen aktuelle Taschenbücher, in der Regel Aufsatzsammlungen bezeichnen. Darüberhinaus wird das Buch zum Supplement von Sen-
dungen und Sendreihen in Hörfunk und Fernsehen; es bietet Texte zum Nachlesen.
Die Vermehrung der Titel beruht weitgehend auf der Abkehr vom Einzelbuch zur Verwertung von Sammelbeiträgen in der Buchreihe. Fast die Hälfte aller Titel (47,3 = 1973) kam aus Verlagen mit mehr als 100 Titeln jährlich. Diese Verlage machen kaum 3% aller Verlage aus, darunter die 9 großen Buchfabriken mit 50 bis 100 Mio. Umsatz und mehr.
Das Prinzip des verringerten Signalaufwandes bedeutet hier: weniger Aufwand für das Einzelbuch, Verteilung der Aufwendung auf Serien und damit Kostenersparnis und Profitmaximierung. Dies alles vermittels computergesteuerter Reproduktionstechniken im Großbetrieb und Verwendung fotomechanischer Kopierer im Kleinstbetrieb. Beide erfassen ganze Seiten, so daß die im mechanischen Buchdruck ausgebildete Sorgfalt für das einzelne Wort und den Einzelbuchstaben hinfällig wird.
Publizistisch betrachtet, schafft die «Verringerung des Signalaufwandes» räumliche und zeitliche Prädispositionen für Form und Inhalt des schriftstellerischen Ausdrucks. Räumlich sind Umfang und Papieranteil durch die Kalkulation des Programms, der Serie für den Einzeltitel vorherbestimmt. Der Autor hat sich dem
einzupassen. Zeitlich schlagen die Zwänge der voraus terminierten Produktions- und Erscheinungsdaten durch. Was die Produktion an Aufwand erspart, muß der Autor leisten, ehe er das vom Verlag gelieferte, abgezählte, vertraglich fixierte Manuskriptpapier beschreibt. Hat er es beschrieben, darf ihm nichts mehr einfallen; aber wenn er schreibt, schreibt er, wie ein Journalist, auf den Redaktionsschluß hin. Das heißt, der Kalenderzwang schlägt in der Buchproduktion auf die Qualität der schriftstellerischen Arbeit durch. Das Bücherschreiben nähert sich dem journalistischen Schreiben. Es wird zum Schreiben für das Erscheinungsdatum im Frühjahr oder im Herbst (Buchmesse).
Das bedeutet vor allem den Triumph der Terminzwänge, die vom Supermedium des Kalenders abgeleitet sind, auch im Buchwesen. Zwar war auch bisher die Buchproduktion an kalendarischen Ritualen, wie Ostern, Weihnachten, Messeterminen orientiert; aber mit der elektronischen Produktion wird die Rhythmisierung zum Zwang, den Leerlauf von Kapazitäten zu vermeiden. Der Autor oder die Autoren müssen sich relativ zum Serientermin verhalten. Was nicht hineinpasst, kann auch nicht gedruckt werden. Die subjektiven Erwartungen von Autoren gehen nur insoweit in die veröffentlichten Allgemeinvorstellungen ein, als sie mit dem durch die
Buchfabrikation gesetzten Terminzwängen konform gehen und sich räumlich in den disponierten Umfang bringen lassen.
Das sind die Bedingungen von Presse und Rundfunk schon bisher gewesen. Aber auch hier ändert Elektronisierung die Praxis, von der Nachrichtenbeschaffung bis in die Unterhaltungsmedien hinein. Die Durchsetzungskraft der Signal-Ökonomie ist ein Motor der Pressekonzentration in allen Ländern. In der Bundesrepublik Deutschland nahm von 1969 auf 1973 die Zahl der Verlage von Tageszeitungen um 79, und von 1973 auf 1976 um insgesamt 35 Einheiten ab, so daß 1976 noch 403 Verlagsbetriebe insgesamt 1229 Ausgaben produzierten, allerdings mit nur 119 Vollredaktionen. 1976 verfügten von den 68 Großstädten 42 über zwei oder mehr lokal berichtende Tageszeitungen aus verschiedenen Verlagen, sechs über zwei aus derselben Verlagsgruppe, und 20 Großstädte verfügten nur über eine lokal berichtende Zeitung. Auf dem flachen Land hatte 1976 fast die Hälfte (45,3%) aller Landkreise und kreisfreien Städte nur eine Zeitung, die über die Region berichtete. Diese »Ein-Zeitungs-Kreise« erreichen einen Bevölkerungsanteil von 32,7%.
Die Meinungsvielfalt, wie sie in der lokalen Alternativ-Meldung sich artikuliert, nimmt ständig ab. Das statistische Bild vervollständigt sich, zieht man die Auflagenentwicklung in Betracht: Während die Zahl der Betriebe und der Redaktionen stetig abgenommen hat, nimmt die Auflage zu: Im Dezember 1954 betrug die Verkaufsauflage der Tageszeitungen 13,4 Millionen Exemplare, davon 2,5 Millionen Boulevardblätter, im Juli 1976 war sie auf 19,5 Millionen gestiegen, davon 6,5 Millionen Boulevardblätter.
Die Auflagensteigerung kam nicht der ausführlichen Lokal- und Regionalberichterstattung zugute, sondern überwiegend dem Schlagzeilenjournalismus, der ein Minimum an sprachlichem Diskurs mit einem Maximum an visueller Präsentation verkauft.3 Eine publizistische Form, die das »ikonische Gedächtnis« anspricht, auch »very short term memory« oder »Ultrakurzzeitspeicher« genannt. Die Form wird gespeichert, aber die verbale und begriffliche Verarbeitung erfolgt nicht, wird auch textlich nur angedeutet. Das hat zur Folge, daß nur die scharf wahrgenommenen Reize überhaupt verarbeitet werden, die übrigen bleiben indifferent, sie »haften« nicht. Erinnert wird nur, was häufiger und länger fixiert wird.
Plazierung und Wiederholung, die in der ganzen Presse über die kognitiven Vorgänge entscheiden, dominieren in der Bild-Presse, wie im kurzzeitigen Angebotsmuster im Fernsehen, den Diskurs.
In Zusammenhang mit dem technischen Prinzip des verringerten Signalaufwandes gesehen, heißt dies, daß nur die dem Blickverhalten entsprechend »richtig« plazierten Bilder und Texte überhaupt zählen. Das andere bleibt beiläufig, man könnte es auch Verpackung für die Quadranten ›links oben‹, ›rechts oben‹ bezeichnen. An der dritten Stelle rangiert ›links unten‹. ›Rechts unten‹ kommt zuletzt in Betracht, weil der Blickhabitus es am wenigsten fixiert.
Die 20 Millionen Exemplare Tageszeitungen sind infolge der überlieferten Rolle der Tagespresse in der politischen Meinungsbildung auch der Lieblingsgegenstand der Konzentrationsdebatte. In ihr erlauben die verfassungsrechtlichen Postulate, die der Presse eine Kontroll- und Hüterfunktion in der Demokratie zuweisen, begründete Kritik an der täglichen Praxis. Zumeist wird die Frage gar nicht gestellt, ob die Tagespresse überhaupt die ihr zugedachte Funktion erfüllen kann, wo sie doch in dem Orchester der Massenmedien
längst nicht mehr in allen Stücken die erste Geige spielt. Die 20 Millionen Tagespresse sind in ihrer Rezeption von 2,5 Stunden beeinträchtigt, die der Durchschnittsdeutsche heute täglich fernsieht, am Wochenende mehr. Sie müssen ihre Rezeption mit den Radioprogrammen teilen, die praktisch die ganze Bevölkerung nutzt, und mit den sogenannten Publikumszeitschriften, die 1977 eine statistische Lesewahrscheinlichkeit von 91,2% der Bevölkerung über 14 Jahren erreichte.
Hier hat sich in den Jahren 1964 bis 1977 die verkaufte Auflage pro Nummer allein bei den unterhaltenden Zeitschriften von 43,4 Millionen auf 74,7 Millionen Exemplaren erhöht. Daneben nehmen sich die 13 Millionen der Abonnementszeitung auf dem Frühstückstisch recht bescheiden aus, und selbst mit den Straßenverkaufszeitungen gerechnet, bringt die Tagespresse pro Nummer 50 Millionen Stück weniger auf die Papierwaage als die Unterhaltungspresse pro Auflage. Ein zunehmender Großteil ihrer Auflage kommt laut »Medienbericht 1978« aus vier großen Verlagen (Bauer, Burda, Gruner & Jahr, Springer): so zu 100% die aktuellen Illustrierten, zu 92% die Programmzeitschriften, welche die kostenlos von den Rundfunkanstalten gelieferten Programmübersichten abdrucken, illustrieren, kommentieren und vermarkten, 43% der Auflage der
Frauenzeitschriften und 69% der bunten Wochenblätter. 7,3 Millionen verkaufter Regenbogenblätter jede Woche und die ihnen im Tenor sich annähernden 10,3 Millionen Auflage der Programmzeitschriften bilden den Hauptbestandteil der literarischen Familienkost der deutschen Familie am Wochenende.
Die Selektion, die hier angeboten wird, reduziert die Bedeutung auf: erstens die Geschlechterrollen, hauptsächlich die sexuell betonte der Frau, zweitens auf die Lebenskrisen der Prominenz, hauptsächlich jeder der Unterhaltungsindustrie, und drittens auf das Programmritual des Rundfunks, hauptsächlich des Fernsehens und hier wiederum der Unterhaltungsprogramme.
Dies alles beiläufig zu den Attraktionen der inserierten Wirtschaftswerbung. In diesem Teil der Presse erleidet die Demokratie einen täglichen Bedeutungsverlusts durch Themenselektion und die Art der visuellen Gestaltung. Ihre Auflagensteigerung ist also kein Indiz für irgendeine Art sozialer Anteilnahme, sondern eher für unverbindlichen Blickkontakt mit dem Ritual der Berichterstattung, wo es am flüchtigsten zelebriert wird.
Man kann also sagen, daß der Großteil der Presse die Vielfalt der Erscheinungen den Restriktionen der Signal-Ökonomie derart unterwirft, daß die Erkenntnismöglichkeiten eingeschränkt statt erweitert werden, und daß diese Tendenz anhält.
Zum gleichen Ergebnis kommt der unabhängige Carnegie-Ausschuss, New York 1979, hinsichtlich des kommerziellen Fernsehens in den USA. Der Bericht führt aus, das das Fernsehen die Gesellschaft nicht zeige, wie sie ist, sondern wie die Werbung sie haben will, daß es durch die Zensur der Zahlungskraft die verfassungsrechtliche postulierte Pressefreiheit bedrohe und den allgemeinen Umsturz der amerikanischen Gesellschaftsordnung betreibe.
Das ist das Ergebnis einer Rundfunktradition, die seit 1920 eine unmittelbare Verbindung zwischen Finanzierung und Sendezeit und Sendedauer kennt. Es ist ein historisches Verdienst an unserer Kultur, daß Bredow und andere Verantwortliche der damaligen Reichspost diesen amerikanischen Irrweg nicht gegangen sind. Die unmittelbare Beziehung von Geld und Sendezeit führt dazu, daß in
den USA selbst eine Serie wie »Holocaust« mit Werbespots durchsetzt wird. Sie besagen, daß die Zeit, in der »Holocaust« läuft, von der Firma xyz gekauft ist. Die gleichen ökonomischen Zwänge bestimmen hier Sendezeit und Sendedauer wie in der Presse Anzeigenumfang und Anzeigenplazierung. Eine die Vorstellungswelt der Konsumenten bestimmende Version des Verwaltungsgrundsatzes »wer zahlt, schafft an«. Wer das kommerzielle Fernsehen will, muss »Holocaust« mit Reklame sehen; vielleicht eines »Weissmachers«.
Die Abstumpfung, die durch die wiederholte rasche Folge kurzfristiger Bildkontraste bewirkt wird, trifft mit dem kritischen Vermögen auch die Moral: Auch wenn, wie in den USA 1978, 85% der Befragten die Werbung für irreführend halten, so folgen sie doch den gegebenen Konsumkommandos, die ja auch über Presse und Hörfunk mit denselben Stereotypen erteilt werden. Vom Pluralismus bleibt nicht viel. Von Freiheit gar nicht zu reden.
Freilich verkürzt sich, dem Prinzip des verringerten Signalaufwandes folgend, auch die Dauer der Einzelwerbung, in den USA von durchschnittlich einer Minute auf die Hälfte; aber das bedeutet
nicht weniger, sondern mehr Einschaltungen insgesamt: die Wortzahl verringert sich auf den Wortschatz eines dreijährigen Kindes, wie wir ihn aus den – von den Wiederholungen abgesehen – nur 350 Wörtern der Hitparade in unserem Fernsehen kennen. Die Einzelmitteilung verliert an Bedeutung.
Noch sorgt der Bürger der Bundesrepublik dafür, daß der Bedeutungsschwund im Fernsehen nicht total wird, indem er mit seinen gebühren einen kreativen Freiraum zwischen Kosten und Sendezeit und Sendedauer schafft. Er sollte sich dieses Instrument der Selbstverwaltung nicht nehmen lassen.