Unter System wird im folgenden ein Gebilde verstanden, das aus einer Menge von Faktoren besteht und der Menge der Relationen zwischen den Faktoren.
Als Faktoren kommen Sachen, Personen und natürliche Elemente infrage. Die Personen sind Organismen, deren Subjekt sich in ständiger Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt erneuert (V. v. Weizsacker).
Die Auseinandersetzung menschlicher Subjekte mit ihrer Umwelt heisst Kommunikation oder Mitteilung. Sie gründet in der psycho-physischen Mangelhaftigkeit des menschlichen Organismus, der auf die Beziehung zu Artgenossen angewiesen ist (Christian, Piaget, Spitz, Lacan, Stierlin, Watzlawick, Wyss u. a.). Kommunikation kompen-siert Mangel, indem sich das Subjekt über hinweisende Zeichen und wertbezogene Symbole mit dem immer vorgegebenen „Wir“ auseinandersetzt. Als Zeichen wird definiert, was für etwas anderes steht und in dieser Beziehung interpretiert wird (Wundt, Peirce, Mead, Cassirer, Whitehead, Langer, Morris, Kreitler, Firth, Wyss u. a.).
Symbole nennen wir solche Zeichen, die auf Wertvorstellungen verweisen und in einer vertikal gedachten Hierarchie ihren Platz haben. Jedes Symbol ist ein Zeichen; aber nicht jedes Zeichen ein Symbol. Das Symbol präsentiert abstrakte Wertvorstellungen mittels eines konkreten Signals. Ohne diese Medien (Kommunikationsmittel) ist der Mensch nicht als „individuelles Gemeinwesen“ (Marx), noch als „Kultursubjekt“ (Simmel) denkbar.
Das Fernsehen erscheint den Millionen als Fernsehgerät, als Empfänger. Dieser ist ein rechteckiger Kasten in einem rechteckigen Ambiente. Der Kasten hat auf der Vorderseite eine gewölbte spiegelartige Scheibe, Mattscheibe oder Bildschirm genannt. Sie ist wiederum rechteckig, doch leicht abgerundet. Ein gängiges Format kommt auf den Umfang einer grossformatigen Zeitungsseite 54/44 cm, liegt jedoch quer. Alles, was im Fernsehen produziert wird, geschieht, um Bild und Ton auf dieses kleine Rechteck zu funken. Der Bildschirm ist das Endziel aller Bemühungen. Der technische Apparat wird so stark mit dem sozialen „Wir“ verknüpft, daß die Umgangssprache für das Gerät und den davor sitzenden Menschen dieselbe Vokabel gebraucht: Empfänger.
Diesen humanen Empfänger wollen wir zunachst außer acht lassen. Als quantite négligeable des Sendevorganges hat er seine Körperhaltung und seine intellektuelle Energie darauf zu richten, daß er dem Bilderfluß und dem sprachlichen Diskurs auf dem kleinen Rechteck folgen kann. Er wird sich in der Regel setzen, also jene Körperhaltung einnehmen, die zwischen der Vertikalen und der Horizontalen eine abgeknickte Existenz ermöglicht; und er wird versuchen, seinen Empfang störungsfrei zu halten, indem er die vom Standort des Gerätes geforderte Distanz und Plazierung im Rechteck des Zimmers, unter Berücksichtigung der Rechtecke von Fenster und Tür, herstellt.
Die sitzende Haltung des Subjekts ist also ein Element in einer Relation von Rechtecken, von denen der Bildschirm als Mobiliar die Aufmerksamkeit am meisten beansprucht. — Wenn Sie sich und Ihre Nächsten beim Fernsehempfang beobachten, werden Sie feststellen, daß dabei jeder sein eigenes „System“ entwickelt, eine Anordnung, deren Störung durch andere aggressiv beantwortet wird, weil sie wertbesetzt ist. Sie zählt zu den privaten Ritualismen, mit denen das „animal symbolicum“ (Cassirer) seine Auseinandersetzung mit der Umwelt abzusichern trachtet.
Wie die verbale Gleichsetzung von Mensch und Gerät im Ausdruck „Empfänger“, der die ganze Fracht symbolischer Bezüge von „Empfang“ assoziiert, ist auch der Ausdruck Fernsehen selber irreführend. Es handelt sich nicht darum, daß der Mensch sieht, was in der Ferne vorgeht, sondern darum, daß er sieht, was ihm mit hunderterlei Schaltungen und Tricks in seine Höhle gefunkt wird. Die ursprüngliche Bezeichnung „Funksehen“ war da exakter: man sieht, was gefunkt wird, und die Passivität, die in Platons „Höhlengleichnis“ beschrieben ist, ändert sich nicht in dem suggerierten Sinne, daß der „Fernsehteilnehmer“ an realer Sichtweite gewönne. Er gewinnt ein Mehr an Welt ja nur dadurch, daß er zuhause bleibt und sich zu einem Bestandteil einer Anordnung von Rechtecken macht.
Das Rechteck ist eines der Schlüsselsymbole unserer Kultur. Ehe man annahm, die Erde sei eine Scheibe, hat man sie sich als Rechteck vorgestellt. In der Architektur dominiert es seit dem Übergang zu festen Behausungen anstelle runder Zeltprovisorien. In der europäischen Kunst hat es durch den Bilderrahmen seit der Renaissance zunehmend Bedeutung erlangt. Kriege wurden jahrtausendelang in rechteckigen Schlachtordnungen geführt; und noch heute sitzen unsere Kinder in rechteckig angeordneten Bankreihen in
Schule und Universität. Dem Straßenverkehr liegt eine rechtwinklige Anordnung zugrunde.
Wir haben das Rechteck als Ordnungsfaktor so weit verinnerlicht, daß wir es nur bemerken, wenn wir mit den Ecken zusammenstoßen, oder wenn etwas quer dazu liegt, etwa auf einer Druckseite eine Zeile verrutscht ist und dergleichen. Das Fernsehen als Symbolsystem betrachtet, ist potenziertes Rechteck im Empfang und potenziert Rechtecke in der Produktion.
Was heißt das? Der Bildschirm, ein querformatiges Rechteck, ist deutlich wahrnehmbar eingerahmt. Der Bildrahmen lenkt, wie Simmel im Jahr 1902 bemerkt hat, den Blick nach innen. Er trennt innen und außen. Nur, was im Rahmen bleibt, kann innen sein, das heißt: wahrnehmbar für andere, Teil des Symbolverkehrs. Daher kommt es, daß, was auf dem Bildschirm erscheint, auch sozial „in“ ist: es ist aus dem großen Feld der Indifferenz, des Ununterscheidbaren, hereingehoben in einen Rahmen, der als solcher Bestandteil unserer privaten Umwelt ist, ein Mobiliar, mit dem wir tagtäglich leben.
Der Bildrahmen trennt also innen und außen. Soweit ich weiß, überwiegen die positiven Bewertungen von innen diejenigen von außen. Innen: d.i. zugehörig, vertraut, Identifikationsangebot. Außen: d.i. nichtzugehörig, fremd, absonderlich. Die Valeurs im innen-außen-Verhältnis sind in der Praxis fließend, im Medium des Symboltransportes aber kann es nur entweder—oder geben. Die „New York Times“ verspricht, alle Neuigkeiten zu drucken, die „fit to print“ sind. Im Hörfunk und Fernsehen kann es ebenso nur eine Entscheidung für oder gegen die Sendung geben. Man kann nicht ein bißchen von etwas senden, wie man ein bißchen von einem Mitmenschen schätzen oder gering schätzen kann. Man muß wählen, und man wählt für oder wider das Publikum. Weil aber die Entscheidung für innen oder außen auch darüber entscheidet, ob abstrakte Wertvorstellungen durch das technische Medium wahrnehmbar werden, ob die verwendeten Zeichen ein Publikum erhalten oder nicht, ist jede Entscheidung für in oder out eine politische Entscheidung.
Es gibt also kein unpolitisches Fernsehen, wohl aber unterschiedliche Informationspolitiken, die Kenntnis und Unkenntnis durch Veröffentlichung und Geheimhaltung von Mitteilungen regulieren und subjektive Mängel entweder kompensieren oder verstärken. Letzteres ist deutlich in der gegenwärtigen polnischen Krise zu beobachten. Restriktive Informationspolitik verstärkt den Gegensatz zwischen Beherrschten und Herrschenden.
Daß der Bildrahmen des querformatigen Rechteckes „Bildschirm“ den Blick nach innen lenkt und damit das Zeremoniell sitzender Betrachtung mit dem Programmritus der Fernsehveranstalter verbindet, hat Konsequenzen für die Bildgestaltung. Am „meisten innen“ ist die Mitte.
Von der Mitte aus teilt sich das Rechteck in vier gleiche Rechtecke links oben/rechts oben/links unten/rechts unten. Das Italienische macht diese Einrahmung in ihrer symbolischen Bedeutung leichter verständlich als das Deutsche, weil die Italiener von „inquadrare“ und „inquadrature“ sprechen, was schon dem Kameramann klar macht, daß er die Elemente seiner Aufnahme einzureihen, ins Quadrat zu setzen hat. Wie sie sich im Querformat ausnehmen, kann der Kameramann an seinem Gerät kontrollieren, während er arbeitet.
In der Analyse ist nach dem Wert der vier Rechtecke zu fragen, die durch die Vierteilung des Bildschirms über die Mitte entstehen. Sie faßt das Netzwerk in vier größere Einheiten zusammen, das die Technik im Testbild vorgibt. Analog zur visuellen Gestaltung der Zeitung, hält sich die Bildgestaltung im Fernsehen an die Koordination oben und unten, links und rechts, welche die Trennung von innen und außen im Rechteck vorgibt.
Oben gilt im vertikal gedachten Wertsystem als gut, in der visuellen Praxis macht oben Aufsehen und erregt Aufmerksamkeit. Man kann sagen, daß oben „höher“ bewertet wird als unten, und sich dabei über den Zirkelschluß Gedanken machen, den uns die vertikale Orientierung unserer praktischen wie theoretischen Überlegungen aufnötigt. Tatsächlich hat in der Zeitung links oben den Vorrang vor rechts oben, links unten und rechts unten. Im Fernsehen „kommt alles Gute von oben„, was heißt, hervorzuhebende Elemente werden oben links ins Bild gesetzt. Wer oben links erscheint, erhält damit das Prädikat gut für wichtig, was unten rechts vorkommt, hat eher die Bedeutung des Hundes, den alte Maler gelegentlich in die rechte untere Ecke ihrer Bilder plazierten.
Rechts unten hatte auch der Drachen seinen Platz, als ihn der Meister der St. Georgslegende 1460—1470 von seinem Ritter erstechen ließ. In der aktuellen Fernsehberichterstattung findet sich rechts unten das Gefolge, wenn über die Treppe der Staatsgast von oben kommend das Flugzeug verläßt, um den roten Teppich zu erreichen, oder beim Nachrichtensprecher die Hände, die das Skript halten, und das Mikrophon, während links oben das Bild oder die Schrift der Thematik eingeblendet ist.
Der Showmaster wie der Bundeskanzler treten gewöhnlich von der Mitte oben ins Bild, wie in der Barockmalerei Gottes Sohn oder der Hl. Geist; aber im Gegensatz zum Zeitalter der Emblembücher und der Sinnbilder wird im Fernsehen kein allegorisches Konzept vorausgesetzt, vielmehr das Sinnbildliche geleugnet mit dem Anspruch auf Authentizität der Aufnahme.
Es ist wohl so, daß die durch die Jahrtausende eingeübte Sehweise den Umgang mit den neuen Medien ebenso dirigiert wie den mit den alten, sofern Verständigung, nicht bloße Mitteilung subjektiven Gestaltens beabsichtigt ist. Der Fernsehmann kann sicher sein, daß oben und unten vom Publikum „verstanden“ wird, ja, daß es
die Bewertung dieser Positionen auf den Gegenstand und das Subjekt überträgt, denen die Aufnahme die Prädikate Mitte oder Rand, oben oder unten zuerkennt. Der rechteckige Rahmen des Bildes gibt visuell die Bewertung vor; die Verteilung von hell und dunkel, von Farbakzenten, nicht zuletzt der diskursive Symbolismus der Sprache als Handlungssprache oder Bildbeschreibung folgen der Vorgabe, wobei freilich gilt, daß wir schon deuten, indem wir wahrnehmen (Langer).
Das Subversive des Films besteht im wesentlichen darin, daß die Prädikate oben und unten an Personen, Szenen und Gegenstände (Elemente) verliehen werden, die in der moralischen Bewertung die entgegengesetzten Plazierungen einnehmen. Nicht die Vertikale der Werte wird gestürzt, sie wird anders besetzt. Was in der Vertikalen oben ist, ist in der Horizontalen vorne. Der Auftritt in die Mitte aus dem Hintergrund vergrößert den Auftretenden, bis er schließlich das Bild füllt, „total“ da ist. Wiederum gilt, daß groß mehr bedeutet als klein, was bei Gruppenaufnahmen das bekannte Gedränge vor der Kamera hervorbringt, das wir schon vom Klassenbild in der Volksschule kennen. Die Großaufnahme symbolisiert
immer Bedeutung vor anderen, und wenn dann gar ein Detail das Rechteck füllt, begreifen wir, daß Film und Fernsehen dank der Aneinanderreihung einzelner Bilder symbolisch dem starren Bild weit überlegen sind. Sie können durch die Manipulation unserer Wahrnehmung mit künstlich hergestellten Abläufen die einmal erregten biologischen Abläufe des sehenden Subjekts steuern, wohin sie wollen.
Die „Spannungsindustrie“ schockt nach Belieben (Hermann Broch). Das gilt nicht nur für den in seinem Stuhl „gefesselten“ Empfänger. Auch derjenige, der sich unerwartet vor einer Kamera sieht, neigt dazu, entweder abzuwehren und sich zu decken oder als „Huhumacher“ ins Bild zu kommen. Die winkende Bewegung soll ein Detail der Aufnahme hervorheben. Dem Erkanntwerden auf dem Bildschirm wird ein Wert zugemessen, der unsere Politiker längst dazu gebracht hat, sich telegen zu kleiden und die Maske des bedeutenden Biedermannes auf ihren Gesichtern erstarren zu lassen.
Die soziale Rangordnung im Rechteck des Bildschirms umfaßt die Abstufungen zwischen dem Huhumacher, der sich ins Bild schmuggelt, und dem von der Regie inszenierten Auftritt, der die protokollarischen Vorschriften reproduziert oder sie im Unterhaltungsprogramm kopiert.
Die kunstwissenschaftliche Symboltheorie, wie sie sich von Hegels Definition der Unangemessenheit von Bild und Sinn über F. T. Vischer und Aby Warburg einerseits, und von Kant über Ernst Cassirer und Erwin Panofsky andererseits entwickelt hat, sucht nach der Aussage des starren Bildes, nach seinem tiefsten Bedeutungssinn.
Eine Ikonologie des Fernsehens hat es mit beweglichen Bildern zu tun. Sie muß die Symbolik der Bewegung zu erfassen suchen, die vom Gegenstand der Aufnahme ausgehen kann, aber auch von den Bewegungen und Einstellungen der Kamera und überdies durch Schnitt und Montage des Filmmaterials hergestellt wird.
Die TV-Ikonologie, die ich hier vortrage, geht immer vom vorgegebenen Rechteck des Bildschirmes aus und verfolgt, wie im Rahmen von oben-unten, innen-außen, rechts-links durch die Bewegung Werte symbolisiert werden: nah und fern, hell und dunkel sind schon Bewertungen der Gestalt, die in Verbindung mit ihrer Plazierung Symbole schaffen. Dabei wiederholen sich alte ikonologische Muster, wie von links kommen nach rechts gehen, aber ihre Bedeutung erhalten sie in der Dauer der Einstellung und im Wechsel
der Sequenzen. Während die Farbensymbolik im Fernsehen, die wir seit 1967 in Deutschland haben, die alten Bedeutungen tradiert und moduliert.
Weiß als die Farbe der Reinheit und des Bekennertums hat in den täglichen Reklamesendungen große Bedeutung oft in Assoziation mit der Reinheit der Frau. Grün gilt, wie bei den Troubadours, als Liebesanfang und Farbe der Hoffnung und läßt sich außerordentlich gut für Werbung und Propaganda bei jungen Leuten einsetzen. Rot, im Christentum einmal die Farbe Gott Vaters, kommt vor, wo Macht und Opfer versinnbildlicht werden sollen, politisch als Farbe der Sozialisten. Politiker tragen vorzüg lieh blau, weniger weil es die Farbe der kleinen Buben, im Gegensatz zum Rosa der Mädchen, war, als aus Gründen der Farbtechnik des Fernsehens, die mit Blautönen besser zurecht kommt.
Wie ein Kunstmaler von den verfügbaren Farbstoffen abhängig ist, so die Fernsehsendung von der verfügbaren Technik. Schwarz, im Schwarzweiß-Verfahren differenziertes Kunstmittel, kommt im Farbfernsehen in seinen symbolischen Bedeutungen für Tod, Finsternis, Sünde vor. Das aussagekräftige Lichtspiel mit Hell und Dunkel, das die Anfänge von Film und Fernsehen bestimmte, wurde von der Farbigkeit verdrängt, wie ja überhaupt unser soziales Le-
ben letzthin farbiger geworden ist, als es am Ausgang des 19. Jh. gewesen zu sein scheint.
Im Unterhaltungsprogramm des Fernsehens symbolisieren die Mischungen, Überblendungen und Spiegelungen von Farbe und erregend sein sollendes Glitzern das Unstete schlechthin. Dahinter mag die Idee stecken, in den organischen Vorgang subjektiver Lebenszeit möglichst viele Kommunikationen einzubringen, Symbol der Vergänglichkeit also. Unterhaltung nennen wir diejenigen Kommunikationen, die emotionale Mängel für eine Weile kompensieren. Wenn Frieden Freiheit in Ruhe ist, wie Cicero definiert hat, dann ist die Unruhe der Unterhaltungsangebote im Fernsehen ein Zeichen von Unfrieden und verweist auf dahinterliegende Zwänge.
Die Symbolik der Bewegungsabläufe im Fernsehen ist eine Form der Zeitsymbolik. Sie kommt in drei Varianten vor: erstens als subjektive Lebenszeit zwischen Geburt und Tod (biologische Zeit), zweitens als soziale Zeitrechnung (kalendarische Zeit), drittens als Dauer, abhängig von der Präzision der technischen Zeitmessung (mathematische Zeit).
Die Dauer der Einstellungen, also der wahrnehmbaren Sinnbilder im Fernsehen verkürzt sich in der Praxis, dem Gesetz der Signalökonomie folgend, in immer kürzerer Zeit, über immer größere Entfernungen immer mehr Leute zu erreichen, um die erforderlichen Investitionen rentabel zu machen. Im Augenblick beobachten wir die Anfänge einer neuen Technik, Filmschnitt und -montage aus den Händen der Fachleute und der Regie vorprogrammierten „Schnittcomputern“ zu übertragen. Das heißt, daß im Gegensatz zum starren Bild, das beliebig oft betrachtet werden kann, solange es existiert, das Einzelbild“ im Fernsehen immer kürzere Zeit zur Verfügung des Betrachters steht. Er wird in seinem Ambiente durch die beweglichen Bilder gehetzt, unterliegt also der Zensur der Dauer in seiner Wahrnehmungsmöglichkeit auf groteske Weise. Das „Tempo“ der Medien bestimmt die „innere Uhr“ des Empfängers.
Die Verkürzung steht mit der Terminierung der verfügbaren Sendezeiten im Zusammenhang. Möglichst viel ist unterzubringen in den „Hauptsendezeiten“, das heißt in jenen Stunden, die zwischen industriellem Arbeitsritus und Nachtruhe die meisten Zuschauer
vor den Kasten setzen. Die zu dieser Abendzeit vermittelten Symbole erlangen mehr Ansehen, als die zu später Nacht oder am Nachmittag gesendeten. Der Programmritus ist die symbolische Brücke zwischen den Subjekten und dem Kollektiv. Insofern muß das Programm selber als ein Zeichen für die geltenden Werte betrachtet werden. Was zu welcher Zeit für sendbar gehalten wird, gibt unmittelbaren Aufschluß über die „ursprüngliche Kultursituation“, die Panofsky in der Vergangenheit suchen mußte, um die Ikonologie der bildenden Kunst richtig zu erfassen.
Wir haben es weniger mit der Vergangenheit als mit der Gegenwart und Zukunft zu tun: letztere wird vorbestimmt durch die Sehweisen, die das Fernsehen seinen mindestens 750 Millionen Empfängern suggeriert, und die Folgsamkeit, die es für die herrschende Zeitsymbolik erzwingt.
Schließlich und zum Schluß: das Wort und die Sprache. Das Fernsehen ist in Produktion und Organisation voll abhängig von der Sprache. Die „simultane integrale Präsentation“ des Bildes (Langer) wird in der Regel sprachlich verständlich gemacht. Wie Bilder, auch der abstrakten Kunst, gewöhnlich einen Titel haben, so
auch die Symbolismen der Gestalt, der Farben, der Bewegung und der Zeit im Fernsehen. Mitunter haben wir den Eindruck, illustriertes Radio zu empfangen; dann verfehlt das Medium seine Möglichkeiten.
E.H. Gombrich hat darauf hingewiesen, daß ein Bild sowenig wahr oder falsch sein kann wie eine Aussage blau oder grün. „Wahr“ oder „falsch“ können nur sprachliche Aussagen sein. Es ist der sprachliche Titel, der die Wahrheit einer Fernsehdarbietung bestimmt, und natürlich kann im Bild wahr oder falsch gesprochen werden; aber oben-unten im Bild sind weder „wahr“ noch „falsch“. Darüber wird zu wenig nachgedacht. Es ist deshalb die scheinbare „Objektivität“ des Bildes, die das Fernsehen zu einem Werkzeug moderner Magier macht, und die der Analyse des Symbolsystems Fernsehen die größten Schwierigkeiten bereitet. Der titulierende, kommentierende Text kann auf die Wahrheit oder Falschheit seiner Aussagen hin kritisiert werden, das Bild nicht. Es spricht unsere praktische Erfahrung an, und diese Erfahrung ist nach über 30 Jahren Fernsehen in Deutschland als Erfahrung im Umgang mit dem Medium noch wenig entwickelt.
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