Publizist heißt, wer denkend und schreibend sich um die öffentlichen Angelegenheit kümmert. Ihr Zustand, das Allgemeinbefinden des Staates, sind für den Publizisten eine ständige Sorge, wie für den Journalisten das tägliche Wettrennen um die aktuellste Berichterstattung. Beides lässt sich nicht ganz trennen, denn im Staate ist immer etwas faul, und nur die mindere Journalistik kommt ohne publizistische Gesichtspunkte aus.
Walter Lippmann gilt als der bedeutendste amerikanische Publizist. Es wäre zu fragen, ob er nicht der erste unter den lebenden Publizisten überhaupt ist. Das amerikanische Gemeinwesen ist zum mächtigsten aufgestiegen, und schon darum kommt Lippmanns Ansichten eine weit über die US-Grenzen hinausreichende Bedeutung zu. Die amerikanische Denkweise ist konservativ, auf kontinuierlich Entwicklung bedacht, nicht umstürzlerisch oder gar anarchistisch, und Lippman ist ihr konservativer Interpret.
Solche Grundhaltung spricht aus jeder Zeile seiner aktuellen Kommentare und aus jedem Satz der vorliegenden Kritik an der Demokratie. Angesichts des aufsteigenden Hitlertums begonnen und nach Stalins Tod abgeschlossen, reflektiert das Buch die ernste Sorge der westlichen Demokratie um ihren Fortbestand. Lippmann macht die Mängel der Demokratien für das Aufkommen des Totalitarismus verantwortlich, und er nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Er schon die Staatsform, um deren Fortbestand es ihm geht, so wenig, daß ihre Feinde es leicht haben werden, sich auf ihn zu berufen.
Seit dem Jahre 1917 droht eine plebiszitäre Bewegung, die durch allgemeines Wahlrecht mündig gemachte Bevölkerung, die Trennung der Gewalten aufzuheben und die Regierungen zu lähmen: Die Leute haben über Dinge mitzureden, von denen sie nichts verstehen; und ihre Macht ist groß genug, um die Regierenden zu zwingen, Fehler zu machen. Mit dem alten Glauben ist der alte Gemeinsinn, die public philosophy, dahingeschwunden. Die Wähler begreifen die Prinzipien nicht mehr, über die sie zu befinden haben. Wer nicht mehr an übersinnliche Realität glaubt, der kann auch in seiner Regierung die Autorität nicht mehr erkennen, deren Schutz der einzelne doch gerade braucht.
Lippmann unterscheidet das Volk von den Wählern; und er ist, um den Gemeinsinn zu erneuern, auf Beschränkung des Wählereinflusses, zum Beispiel in der Außenpolitik, dem kompliziertesten Gebiet also, bedacht. Hier scheiden sich die Geister. Es geht aus Lippanns Darstellung keineswegs hervor, daß durch die Erhebung „des Volkes“ über die Bevölkerung (und die Metaphysierung dieses Hilfsbegriffes) der Staatswissenschaft etwas gewonnen wäre. Hinter das Leben kann das Denken nicht zurück, sagt Diltey. Der Fortbestand der Demokratie scheint auf dem anderen Wege, dem des Abbaues des Geisterglaubens, vielleicht sogar eher zu sichern. Aber noch hat diese Schule keinen Advokaten vom Range Lippmanns gefunden.