Der Sommer war heiß, der wärmste seit 1934, und im Augustheft seiner »Deutschen Rundschau« schrieb Rudolf Pechel »Millionen hungernder und leidender Menschen in Europa harren in Sorge der europäischen Antwort auf den großäugigen Marshall-Plan zur Rettung des so schwer bedrohten Kontinents«. Die Hoffnungen hoben sich, als in Moskau die Einladung nach Paris angenommen wurde, und wichen einer tiefen Depression, als die Pariser Verhandlungen scheiterten und die Staaten in der sowjetrussischen Einflußsphäre die Teilnahme an der zweiten Pariser Konferenz ablehnten oder die erteilte Zusage zurückziehen mussten. Das im Juli in Paris gebildete Committee of European Economic Cooperation nannte schon im September Zahlen: Es hielt 21 Milliarden Dollar für das Minimum wirksamer amerikanischer Hilfe. Die Amerikaner befanden das für zu viel, zumal sie dem europäischen Willen zur Zusammenarbeit nicht trauten. Aber im November befaßte sich der Kongress mit der Soforthilfe für Frankreich, Italien und Österreich, und kurz vor Jahresende erhielt Außenminister Marshall von Präsidenten Truman Order, diese Soforthilfe in Gang zu setzen. Neun
Monate waren vergangen, seitdem der Präsident der Vereinigten Staaten seine »Truman-Doktrin« verkündet hatte. Die Bezeichnung schon spielte auf gewaltige historische Prinzipien an, die Monroe-Doktrin sollte in Erinnerung gerufen werden; aber im März 1947 ging es nicht um die Hegemonie auf dem amerikanischen Kontinent, sondern um nichts geringeres als die Verkündung zweier Lebensweisen, zweier Weltsysteme schlechthin. Den Kommunisten und der Sowjetunion war das »sozialistische Lager« eine außenpolitische Realität, die sich aus der in die Außenpolitik übertragenen Idee des Klassenkampfes ergab. Truman verkündete demgegenüber, was man von nun an für eine Reihe von Jahren »die freie Welt« nennen sollte. Im Juli erschien in »Foreign Affairs« George F. Kennans berühmter »Mr. X« – Artikel, der die Sache auch den Intellektuellen begreiflich machte: Da die Sowjetunion versuche, Not und Elend der Nachkriegswelt mit Hilfe der kommunistischen Parteien zur Stärkung ihrer Positionen auszunutzen, falle den USA die Rolle des Gegenspielers zu. Langwierige Auseinandersetzungen um strategische Positionen stünden bevor. Kennan war lange genug in Moskau gewesen, um mit Überzeugung neu formulieren zu können, was im 19. Jahrhundert vorhergesagt worden war: ein Aufeinandertreffen
Amerikas und Russlands. Selbst im Kriege hatten Roosevelts Gegner, freilich aus anderen Motiven, so argumentiert, und dreißig Jahre waren erst vergangen, daß mit Lenin und Wilson zwei recht verschiedene Repräsentanten der beiden Großmächte die Weltmeinung in Anspruch genommen hatte.
Die Umkehr der kommunistischen Klassenkampfideologe durch die Amerikaner und ihre Erhebung zur außenpolitischen Doktrin war die Idee des Jahres 1947. In der Sache nicht neu, beherrschte sie doch bald das politische Denken. Das war nicht erstaunlich. Die Vereinigten Staaten waren als einzige Macht ungeschwächt aus dem Hitlerkrieg hervorgegangen. Die Sowjetunion hatte zwar ihre Armeen weit nach Westen vorschieben können, aber sie hatte furchtbare Verluste an Menschen und Material erlitten und wäre eher den Verlierern zuzurechnen, wenn es ihr nicht gelang, die erboerten Gebiete zu behalten. Arrondierungsvorstöße in Persien und Griechenland waren schon misslungen. Umso zäher behauptete Stalin seine Präsenz in Mitteleuropa. Gerade das bestätigte Trumans Doktrin. Und Deutschland war der gegebene Schauplatz, auf dem der Konflikt auszutragen war.
Der britische Außenminister Bevan kam, ganz im Sinne der traditionellen englischen Kontinentalpolitik, der amerikanischen Doktrin am nächsten. Er spielte mit dem Gedanken an ein Rußland vorgelagertes, einheitliches Deutschland. Die Franzosen wollten einen deutschen Staatenbund, wie sie les Allemagnes von jeher am liebsten gesehen hatten. Die Sowjetunion strebte ein zentral regiertes, stark kommunistisch beeinflußtes Deutschland an in der Hoffnung, auf dem Weg der inneren Politik das Ganze in die Hand zu bekommen. Man erinnert sich, daß Lenin die russische Revolution ohne die deutsche für unzureichend hielt. Die amerikanische Idee war von historischen Strukturen Mitteleuropas unbelastet. Sie basierte auf der Philosophie, daß man Deiche errichten muß, wo die Flut eindringt. Danach wird man weiter sehen.
Wenn drei historisch motivierte Konzeptionen gegeneinander stehen, hat eine bloß pragmatische Politik gute Aussichten, zum Zuge zu kommen. Wie erst, wenn sie von der ersten Macht der Welt geführt wird und eine global erweiterte Monroe-Doktrin ihr Leitmotiv ist! Als die vierte Konferenz der Außenminister am 24. April 1947 nach sechswöchiger Dauer auseinander ging, war man sich über die künftige Organisation Deutschlands nach wie vor uneinig.
Die in Potsdam 1945 beschlossenen Zentralverwaltungen wurden nicht eingesetzt, der in Aussicht genommene deutsche Konsultativrat wurde nicht gebildet, und an die Vorbereitung einer provisorischen Regierung. war nicht zu denken. So kam dem Zweizonenabkommen der Amerikaner und Engländer entscheidende Bedeutung zu. Seit dem 1. Januar arbeiteten in Berlin »Bipartite Board«, in Frankfurt Zweizonenverwaltungen für Finanzen, Post und Justiz, in Minden eine für Wirtschaft, in Bielefeld eine für Verkehr und die wichtigste, für Ernährung und Landwirtschaft in Stuttgart.
Es war der bayerische Ministerpräsident, Hans Erhard, der beim amerikanischen Militärgouverneur Lucius Clay die Erlaubnis erlangte, ein Treffen der deutschen Ministerpräsidenten zu arrangieren. Im Oktober hatte Wilhelm Kaisen eine solche Begegnung in Bremen zustande gebracht, aber die auf gesamtstaatliche Organisation zielenden Bremer Entschließungen durften nicht wieder auf die Tagesordnung kommen. So lautete die amerikanische Voraussetzung für München. Die Herren aus der französischen Zone durften zum ersten Male kommen, hatten aber keine Befugnis, wirtschaftliche Themen zu erörtern. Die Ministerpräsidenten der sowjetischen Zone kamen mit einem taufrischen Erlaß der SMA in der Tasche,
der eine deutsche Zentralverwaltung für die Ostzone befahl, und verlangten in den Vorbesprechungen sogleich, eine Zentralverwaltung für das Rumpfgebiet des alten Reiches zu diskutieren. Das war genau das, was die anderen nicht auf die Tagesordnung bringen durften, und so reisten nach einigem Hin und Her die Mitteldeutschen wieder ab. Der Gedanke, den in der amerikanischen Zone bestehenden »Länderrat« auf die anderen Zonen auszudehnen, der beim Bremer Treffen umgegangen war, fiel in Vergessenheit.
Das Scheitern der Nymphenburger Konferenz im Juni 1947 zeigte, wie geringe Kompetenzen die deutschen Ministerpräsidenten hatten. Dennoch waren die Besatzungszonen, wenn überhaupt, nur auf föderalistische Weise zusammenzubringen. Die Auflösung Preußens, der Molotow im Februar 1947 zugestimmt hatte, war unter anderem deshalb ein Fehler gewesen, weil sie die Sowjets auch dann gezwungen hätte, aus dem föderalistischen Konzept auszusteigen, wenn sie den Föderalismus nicht für einen Hort der faschistischen Reaktion gehalten hätten.
1947 ging es im Grunde deutscherseits gar nicht um staatliche Organisationsfragen, die von den Alliierten entschieden wurden, sondern um die Vorfragen des wirtschaftlichen, sozialen und intellektuellen Daseins. Sie ausführlich zu durchdenken, war die Stunde. Als Jakob Kaiser, dessen Gedankenwelt Hans-Peter Schwarz jüngst ausführlich analysiert hat, am 8.11.47 in der »Welt« vor bequemen Lösungen warnte, meinte er dies: »Unbegreiflich ist es, daß in den Westzonen auch Deutsche zu bequemen Patentlösungen neigen, die auf eine Teilung Deutschlands hinauslaufen. Eine Mischung von materiellen und ideologischen Gründen ist für diese Haltung maßgebend. Wo nur materielle Gründe für eine solche Haltung sprechen, wird das deutsche Volk sehr bald sein Urteil darüber fällen. Schwerer wiegen die ideologischen Gründe. Aber auch die halten keiner ernsthaften Prüfung stand. Wer den orthodoxen Marxismus, der seinen Weg vom Osten zum Westen nehmen könnte, nicht will, hat sich mit ihm auseinanderzusetzen, wie wir es in der Ostzone und in Berlin nun schon zweieinhalb Jahre tun. Die Einzäunung von Teilen Deutschlands ist kein Mittel ihn aufzuhalten oder auszuschalten. Der beste Weg zu seiner Überwindung ist der Wille zu gesunder sozialer Ordnung in einem neugeeinten deutschen Volk …«
Aber wo fing die Patentlösung an? Die Ernte des Sommers 1947 wurde auf die Hälfte einer normalen Ernte geschätzt, im Ruhrgebiet und in der französischen Zone, wo 160 000 Mann und Weib und Kind Besatzungspersonal mit speisten, sank die Lebensmittelzuteilung zeitweise auf 800 Kalorien. 2800 Kalorien waren in Potsdam beschlossen worden, 1200 gab es im Durchschnitt, und Schlange-Schöningen
sprach mit Recht von der »Progression des Negativen«: Weil nicht genügend produziert wurde, wurde immer weniger produziert. Bas Armenhaus Deutschland nicht zum Siechenhaus werden zu lassen, war weniger eine Waren- als eine Geldfrage. Also lag doch dort der Anfang! Der Anfang wohl, nicht aber das Ende. Kaisers Position ist zwanzig Jahre danach interessant, weil sie die Zusammenhänge zwischen einer schwächeren Antistellung gegen den Sowjetkommunismus und der deutschen Frage bloß legt.
Gesellschaftspolitisch und staatspolitisch wäre es darauf angekommen, das Alpha nicht für das Omega zu halten. Oder glaubte man wirklich, die Westalliierten hätten insgesamt ein volksdemokratisches System dulden können, wie es die Sowjetunion dann später dank der Isolierung ihrer Zone dort realisiert hat? Sicherlich war rasches Handeln im ökonomischen Sektor geboten; aber das mußte nicht zu dem kurzatmigen Tempo auf anderen Gebieten führen, das dann angeschlagen worden ist. Das Teilgebiet der Wirtschaft über alles, über alles in der Welt zu stellen, war eine deutsche Konsequenz, die Erik Reger, ein publizistischer Gegner Kaisers, sofort nach der Gründung des Wirtschaftsrates der amerikanisch-britischen Zonen voraussah: »Wir bedauern die Einrichtung des Wirtschaftsrates wahrhaftig nicht deshalb, weil eine Zentralinstanz für West- und Süddeutschland geschaffen wurde. Wir bedauern sie, weil die Instanz wirtschaftliche und nicht politische Funktionen hat. Denn diese wirtschaftliche Instanz wird nun gerade Politik machen, ob man will oder nicht, und diese Politik wird aus der Zentralinstanz eine zentralistische machen wollen. Insofern hatten die Ostzonenleute nicht so Unrecht: Das Thema Deutschland hätte zur Debatte gestellt, der Ausdruck des Wunsches zur Vereinigung der Länder in einer deutschen Bundesrepublik dort, wo es möglich ist, zum Beschluß erhoben werden müssen …«
Die Vernachlässigung des gesellschaftspolitischen Aspekts, der gehätschelte Irrtum, Wirtschaftspolitik mache staatspolitische Kunst überflüssig, und nicht zuletzt die Wiederkehr des neoliberal und lautstark verdammten Protektionismus in Gestalt von Subventionismus — das alles wurde 1947 befürchtet, diskutiert, bestritten, prophezeiht, ehe es die Bundesrepublik und die Deutsche Demokratische Republik gab. Daß die Vorrangigkeit der Wirtschaftsverwaltung konsequenterweise die staatlichen Organisationsfragen, tiefgreifender vorherbestimmen mußte, als eine gesamtdeutsche provisorische Regierung die Wirtschaft hätte beeinflussen können, zeigte sich bald. Die Wirtschaftsverwaltung konnte sich nicht auf das beschränken, was auf einer Konferenz über: »die Neutralität Deutschlands und der Friede« am 10. und 11. April 1947 die »Aktionsgruppe Heidelberg« für politisch wünschenswert gehalten hatte. »Die Aufgabe der provisorischen Regierung wäre neben der Durchführung des vorläufigen Friedensstatuts die Wiederherstellung des einheitlichen wirtschaftlichen Lebens Deutschlands und die Aufrechterhaltung seiner Rechtseinheit. Sie sollte möglichst durch die Ausgleichung von Export und Import die internationale Neueinfügung Deutschlands anbahnen, welche auch die Voraussetzung der Leistung von Reparationen ist. Sie sollte scharf umgrenzte durchgreifende außerordentliche Vollmachten haben. Ihre Amtsdauer wäre zeitlich zu begrenzen. Sie hätte unter demokratischer
Kontrolle zu stehen. Ihre außerordentlichen Befugnisse hätten nichts zu tun mit denen einer künftigen verfassungsmäßigen deutschen Regierung, die ihre Legitimation aus dem Willen des Volkes herleiten muß.«
Eingezäunt wurden nicht nur Teile Deutschlands, sondern auch die Teile der Politik.
In einem Leitartikel der »Zeit«, »Großreinemachen« wandte sich Ernst Friedländer gegen den Schematismus in der Entnazifizierung: »Die Geschichte der letzten Jahr zehnte lehrt, daß der totalitäre Staatsattentäter gar nicht im geheimen erfolgreich wirken kann. Er braucht das volle Rampenlicht der Öffentlichkeit, den ganzen lärmenden Apparat von Masse und Militanz. Er ist deshalb viel leichter zu erkennen, viel rechtzeitiger zu erfassen als jeder kleine Taschendieb. Nach 1913 war es nicht gefährlich, daß sich ein Mann namens Adolf Hitler auf freiem fuß befand. Gefährlich war, daß man ihm die Freiheit zum Bösen gönnte, daß man ihm seine Privatarmee erlaubte, daß man ihn nach seinem ersten Staatsstreich nur pro forma bestrafte und bald wieder auf Deutschland losließ. Oder fürchten wir etwa, der SA-Standartenführer könnte nächstens Hamburger Senator oder hessischer Minister werden? Das wäre ein nicht zu rechtfertigendes Mißtrauen in die Auswahlfunktionen
von Demokratie und Selbstverwaltung. Wir kommen mit unserer Gesundung nur weiter, wenn jeder nicht strafbare Mann ein freier Mann ist.«
Wie Kaiser mit den Kommunisten, empfahl Friedländer mit den Nazis zu leben. Damit trugen beide zur Debatte über die Auswahlmechanismen der ernst genommenen Demokratie bei. Viele Zeitgenossen sahen ihn durch den Dogmatismus der Parteien bedroht. Dogmatismus bedeutet Verabsolutierung des einmal Gelernten, er ist das Sich-Abschirmen gegen neue Wahrheiten. Etwas ganz anderes als Ideologie, was heute vorausgeschickt werden muß, weil sich die bundesrepublikanischen Parteien später viel auf ihre „Entideologisierung« zugute hielten, ohne sich in ihrer Praxis zu entdogmatisieren. 1947 kannte man den Unterschied noch, und Karl Geiler nannte auf einer Tagung der Wählergesellschaft am 20. September 1947 einige undemokratische Tendenzen, zu denen der Dogmatismus führt: „Einmal zum Primat des Parteiinteresses über das allgemeine Interesse, … sodann zu einer oft geradezu in Feindschaft ausartenden Intoleranz sowohl gegen andere Parteien und ihre Mitglieder als auch gegen eigene Parteiangehörige, die es für richtig halten, in einzelnen Fragen von der Parteidoktrin abzuweichen; andererseits
und gleichzeitig zu einem manchmal an den Nationalsozialismus erinnernden Gehorsam gegenüber der Befehlsgewalt der Parteileitung; wie überhaupt zu einer Herrschaft des Dogmas, der Doktrin über den Menschen und die Person und damit gerade zu der Entpersonalisierung unseres öffentlichen Lebens, die wir doch bekämpfen wollen, und die schließlich auch dazu führt, daß ein falsches Elite-Prinzip angewandt wird, indem auf Grund der Parteibürokratie vielfach die dieser genehmen Kandidaten zum Zuge kommen anstelle von Persönlichkeiten mit Format und selbständigem Urteil.»
Geiler schloß daraus, daß Entdogmatisierung und Personalisierung des Parteilebens in der Wahlrechtsfrage den Ausschlag geben müssten. Der ganz anders geartete, große Polemiker Kurt Hiller
hatte doch etwas ähnliches im Sinn, als er (»Wahrheitsvoll und gesinnungsklar Fakten hinein in die Massen!«) schrieb: »Parteien, zum Beispiel, müssen existieren. Man kann sehr sachliche, sehr programmatische Gründe haben, keiner der bestehenden anzugehören; aber Parteien müssen sein. Das Kontrollrecht aller Mündigen im Volk muß sein. Die Auslese der geistigen Führerschaft auch durch das Leben in den Parteien muß sein. Zugleich sollte in den Gemü-
tern allerhand Skepsis sein gegenüber dem Anspruch der Parteien, das ausschließliche Instrument der Politik zu bilden.«
Zwanzig Jahre später wissen wir, was aus den Ideen von 1947 geworden ist, vor allem, wo nichts aus ihnen geworden ist. Nach wie vor tragen die Alliierten Verantwortung für Deutschland, wie die Sowjetunion jüngst bezeugte, als sie die Ostberliner nicht an den Volkskammerwahlen der DDR teilnehmen ließ, und wie es im Westen dem Artikel 2 des „Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den »Drei Mächten« entnehmen ist: »Im Hinblick auf die internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages verhindert hat, bewahren die Drei Mächte die bisher von ihnen innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Gesamtdeutschland einschließlich der Wiedervereinigung und der Regelung eines Friedensvertrages.« Bundeskanzler Kiesinger und Ministerpräsident Stoph haben erste Briefe gewechselt. Die Verengung der Weltpolitik auf Amerika oder Rußland läßt sich nicht mehr halten. China und der südliche Teil des Globus melden sich.
Im Innern sucht die aus der Parteienoligarchie in den letzten zwanzig Jahren herangebildete Führungsschicht sich zu festigen. Unter Hinweis auf die angebliche Ablösung von Alliierten Vorbehaltsrechten strebt sie zu diesem Zweck »Notstands«-Vollmachten an. Die Staatsfinanzen sind in Unordnung. Gesellschaftspolitische Versäumnisse wirken sich in der Unruhe aus, die das studierende Volk erfaßt hat. Wieder sucht man nach Patentlösungen Die Evolution zum Übernationalen scheint rückläufig, und Deutschland erkennt sich erneut als eine der großen Mächte, wenn es auch keine Großmacht ist. Der Sommer ist heiß, vielleicht der wärmste seit 1947.