Der Weg des Gymnasiasten – der sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte, um ja nicht zu spät zu kommen in diesen Krieg – zum unbedingten Pazifisten war nicht allzu lang. 1942 – 1945, einmal Russland und wieder zurück. Im Lazarett war es schon klar, was er ein Jahr später, 1945 formulieren konnte: Nie wieder Krieg.
Nach der Entlassung, in Heidelberg stieß der junge Leutnant, der den Krieg verloren hatte, nicht nur auf die amerikanischen Befreier mit ihrem Programm zur Umerziehung der Deutschen, er fand auch die Lehrer, die ihm, der aus einem national-konservativen Elternhaus stammte, die politischen Zusammenhänge der Entwicklung erklären konnten. Sie alle waren aktiv gewesen in der Zeit der Weimarer Republik, einige, wie Alfred Weber, schon früher. Harry Pross sammelte rasch einen Kreis von Gleichgesinnten um sich,
gründete eine „Gesellschaft der Jugend“ und wandte sich noch während seiner Promotionszeit dem Journalismus zu. Ernst Johann, der nachmalige Generalsekretär des P.E.N., von 1946 – 1948 Feuilletonchef der „Rheinpfalz“, schickte seinen Volontär zu den Kriegsverbrecherprozessen nach Rastatt und Nürnberg. Dort konnte er sich die Leute anschauen und ihnen zuhören, die verantwortlich oder mitverantwortlich waren für die Kriegsverbrechen.
In all seinen Überlegungen dazu geht er weit zurück ins 19. Jahrhundert und zieht die Linien der Fehlentwicklung in die neuere Zeit. In seinem Aufsatz „Ein Frieden, der keiner war“ aus dem Jahr 1989 zitiert Harry Pross zu Beginn den Chefredakteur des Londoner „Observer“, James Louis Garvin, der vom Vertrag von Versailles gesagt hatte, er streue eine „Saat von Drachenzähnen“ über Europa aus und sie werde in Gestalt von Kriegen aufgehen. So ist es dann gekommen.
Was den tagesjournalistischen Teil seiner Publizistik in der alten Bundesrepublik Deutschland betrifft, so wird er an anderer Stelle auf diesen Seiten beleuchtet.
Die Doktorarbeit hatte die falsch gelaufene Jugendbewegung zum Thema, das Harry Pross dann noch einmal aufgegriffen hat in seinem Buch „Jugend – Eros – Politik“.
Die frühe Begegnung mit dem Nationalismus-Forscher Hans Kohn in Heidelberg war prägend. Durch ihn kam er mit den Emigranten in Berührung und damit auch mit dem europäischen Judentum. Die Beschäftigung mit ihm, auch dem Zionismus, zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze publizistische Werk bis zu seinem späten Aufsatz „Brit Schalom“. In seiner Zeit als Redakteur der „Deutschen Rundschau“ hat er sich um die Schriftsteller gekümmert, die aus ihren Zufluchtsländern wieder Kontakte suchten zu den Publikationsorganen ihrer Muttersprache. Er hat sie, die oft schon vergessen waren oder nicht erwünscht in der neuen Bundesrepublik, nicht nur gedruckt, er hat ihnen auch persönlich geholfen, wo er konnte. Ein Beispiel ist Jakob Picard, der Dichter vom Bodensee. Aron Ronald Bodenheimer, der Altersfreund, hat nach dem Tod von Pross in einem Brief geschrieben: „An ihm hatten wir einen Menschen gefunden, dessen wir sicher sein konnten, er hat uns aus seiner ganzen Fülle heraus von den Übeln der Hitlerei befreit, wie er auch in überzeugender Konsequenz dazu beigetragen hat, das neuerliche Aufkomme eines vergleichbaren Übels ab ovo zu unterbinden“
Es fügte sich eins ins andere. Auf einem von der CIA finanzierten Kongress für Kulturelle Freiheit in Berlin 1950 (Congress for culturell Freedom, CCF) begegnete Harry Pross Golo Mann, Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Klaus Mann, den Bruder, hatte er schon in Heidelberg kennengelernt.
Während des Studienjahrs 1952 in den USA, das ihm Hans Kohn vermittelt hatte, fand er in der Bibliothek der Columbia University die Materialien, die er in seinem Buch „Die Zerstörung der deutsche Politik“ ausgebreitet und kommentiert hat. Hans Heigert hat dieses Buch wiedergelesen und skizziert, was es nach seinem Erscheinen bewirkt hat.
Man kann den Weg, den Harry Pross gegangen ist, in seinen „Memoiren eines Inländers“ nachlesen. Man kann aber auch entlang der Bibliographie – Print und Radio – die Thematik des Pazifismus ablesen, die sich durch das ganze publizistische Werk zieht bis zum Ende hin.
Den Blick auf den Anarchismus bekam Harry Pross durch die Entdeckung Gustav Landauers, seinen badischen Landsmann. Sein erster Beitrag „Würdigung Gustav Landauers“ erschien 1970. Sein letztes Buch trägt den Titel: „Lob der Anarchie“. Es enthält gesammelte Aufsätze aus frühen Jahren.
Ein in den früher achtziger Jahren konzipiertes „Friedensbuch“, eine Anthologie wichtiger Texte, hat nicht zur richtigen Zeit den richtigen Verleger gefunden. Das Manuskript liegt in Marbach.
Kurt Tucholsky war Harry Pross schon als Gymnasiast beim Bücherräumen auf dem Dachboden seines Elternhauses begegnet, der 1938 bei allen Hausbesitzern entrümpelt werden musste wegen der Brandgefahr bei zukünftigen Bombenangriffen. Die spätere langjährige Beschäftigung mit seinen Schriften führte 1988 zur Gründung einer „Kurt Tucholsky-Gesellschaft“ in seinem Haus im Allgäu. Als er selbst 2002 den Preis dieser Gesellschaft erhielt, hielt ihm Walter Jens die Laudatio.
M.P.