Ursprünglich hatte ich die Absicht, mit ein paar Freunden, die sich mit Kommunikationstheorien befassen, in aller Ruhe über den Begriff »Kitsch« zu sprechen. Ich vermutete, daß allenthalben gekitscht und verkitscht wird, weil die Beschleunigung der Mitteilungen zu Abkürzungen und Verkürzungen der erforderlichen Mitteilungslängen zwingt.
Kitsch als Medium und Medienkitsch betrachtet, hat drei Erscheinungsformen: die bildliche Präsentation, den sprachlichen Diskurs und nicht zuletzt die Verbindung bei der im zwischenmenschlichen Kontakt. Letztere fast allgegenwärtig in der täglichen Kleinpropaganda. Die Diskussion über Kitsch ging vom Bild aus, weil der Ausdruck zuerst für rasch angefertigte Bilder in Umlauf kam, dann für plastische Formen und Sprachbilder.
Blieb der Verhaltenskitsch, der aus der Selbstdarstellung in Sprache und Präsentation sich ergibt. Das »kitschige Verhalten«, um Eindruck zu schinden, oder aus einem Defekt der Selbstzensur geht über in den von Walter Benjamin 1927 so genannten »Traumkitsch«, oder es kommt aus jenem hervor. Da verliert sich die Spur in der Individualpsychologie. Andererseits ist längst klar, daß zu Zwecken der Massenregie eben diese Unsicherheiten in der Selbst-
darstellung jedes einzelnen angepeilt werden. Der Nazismus mit seiner chaplinesken Leitfigur ist durch die Kleinpropaganda großgeworden, die auf emotionale Defizite spekulierte. Was wird aus der heutigen Kleinpropaganda hervorgehen?
Hannah Arendt hat in ihrer Einleitung zu Brochs Essays geschrieben, wer Rituale zelebriere sei ein Priester, »selbst wenn es irdische Rituale sind, und wer ein Priester ist, verkörpert bei aller Irdischkeit, immer noch einen nicht unbeträchtlichen Rest der kindheitsverspielten, längst überalterten Heiligkeitsphantasien«. Da unsere Gesellschaft durch ritualisierte Abläufe von Produktion und Konsum gesteuert wird, mußte sich die Frage nach der sozialen Bedeutung von Kitsch auch auf die Rituale richten und die Phantasien von Bündigkeit und Harmonie, die sie beschwören. Damit binden sie uns in Arbeitsleistung und Freizeit zu gefügigem Tun zusammen. Drei der in diesem Band zu Wort kommenden Autoren, — Abraham Moles (Straßburg), Carlo Mongardini (Rom) und Vicente Romano (Madrid) —, haben sich in meiner Sammlung zum Thema »Rituale der Medienkommunikation« früher geäußert (Gut-tandin & Hoppe 1983, Berlin). Im Vorliegenden geht Michael Hofmann der Frage nach, inwieweit wir durch die Medienorganisation verkitscht werden. Welchen Interessen dient die Aufmerksamkeit,
von der wir subjektiv glauben, es sei unser freier Wille, der sie aufbringt?
Soweit waren die Vorüberlegungen gediehen, als der Westallgäuer Heimatverein e. V. eine Ausstellung von alpenländischen Souvenirs und Devotionalien zu planen begann. Es lag nahe, das Gespräch zwischen Soziologen, Psychologen, Kommunikationswissenschaftlern, Journalisten und Designern mit dieser Ausstellung zu verbinden. Die moderne Wissenschaft ist ein Produkt der Städte, die unsere Kultur bestimmen. Warum sollte nicht eine ländliche Marktgemeinde, Weiler im Allgäu, alternativ zu den großen Institutionen, das Forum für eine öffentliche Diskussion von Begriffen werden? Der Rahmen würde weniger streng und die Zeiteinteilung würde, den lokalen Toleranzen entsprechend, Pausen zum peripathetischen Gespräch und zur üblen Nachrede im Wirtshaus lassen.
So wurde aus dem geplanten Gedankenaustausch das internationale und interdisziplinäre Seminar im Kornhaus, einem der beiden Museen des Heimatvereins. Ihm und den Bürgern, die ihn dabei materiell und ideell unterstützten, sei an dieser Stelle gedankt. Sie haben eine Woche lang fremden Theoretikern praktische Gastfreundschaft erwiesen. Ihre aufs Praktische orientierte Heiterkeit
hat das halbe Hundert angemeldeter Teilnehmer und das Publikum der Abendvorträge davor bewahrt, der Sache mehr Gewicht beizulegen, als sie hat. Die Relativität der Standpunkte wurde gewahrt. Dogmatismus hatte keine Chance. Die Wissenschaft blieb fröhlich, weil die Umgebung fröhlich war.
Dies ist um so höher zu bewerten, als die »große Öffentlichkeit« durch Korrespondenten von Zeitungen und die Mikrophone des Radios sich »herstellte«. Dafür habe ich vor allem dem Westdeutschen Rundfunk zu danken, der »aufs Dorf ging« und mitschnitt, was im Kornhaus vorgetragen und diskutiert wurde, dem Süddeutschen Rundfunk, der sich beteiligte, und dem Österreichischen Fernsehen, das eine seiner berühmten »Club 2«-Diskussionen an das Seminar anschloß.
Was hier nun, freilich ohne die Zwischentöne aus den Zwischenräumen und Zwischenzeiten des Seminars, illustriert im Druck vorliegt, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Kitsch als ein gesellschaftliches Produkt. Die Frage war schon 1912 in dem im Anhang wiedergegebenen Text des Museumsdirektors Pazaurek enthalten; aber sie ist dort nicht ausgesprochen. Dafür wurde die politische Dimension des Kitsches in der Kriegspropaganda vor und
nach 1914 deutlich. Seitdem ist der Kitsch als Bestandteil der Massenregie in kommerzieller wie politischer Hinsicht aufdringlich geworden. »Jedes Wertsystem kann, wenn von außen her in seine Autonomie eingegriffen wird, gestört und depraviert werden; eine Christlichkeit, deren Priester genötigt werden, Kanonen und Panzertanks zu segnen, streift genauso an den Kitsch wie eine Dichtung, die das geliebte Herrscherhaus oder den geliebten Führer oder den geliebten Obermarschall und Ministerpräsidenten zu verherrlichen sucht.« Damit brachte Hermann Broch 1950/51 an der Universität Yale den »Kitsch« in die Wertdiskussion ein.
In den vorliegenden Diskussionsbeiträgen erweist sich die Wertdiskussion auch noch 35 Jahre nach Broch als unumgänglich. Ob der Kitsch als Lebenshilfe verstanden, als Abfall kategorisiert oder als Mangel an Selbstbestimmung als Unfreiheit — die Autoren kommen immer wieder auf Normen und Werte und deren Fragwürdigkeit zurück. Das wäre nicht anders, wenn es mir gelungen wäre, auch einen Referenten für »Kitsch in der Musik« zu finden. Die Beschränkung auf Wort, Bild, Verhalten, läßt diesen Mangel weniger hervortreten als die alltägliche Berieselung mit Musiken, der kaum noch auszuweichen ist, jedenfalls nicht in öffentlichen Lokali-
täten. Was sie für die Verkitschung des modernen Menschen bedeutet, ist also die offene Frage. Mitarbeiter und Herausgeber hoffen, daß Leser und Kritiker noch andere Fragen aus der Lektüre gewinnen. Das Thema ist nicht abgeschlossen, wenn es anstößig wirkt, hat das Buch etwas bewirkt.
Harry Pross