Dieses Buch gibt in seinem ersten Teil eine Einführung in die Disziplin Kommunikationswissenschaft, wie sie sich aus den politisch-ökonomischen Betrachtungsweisen im ausgehenden 19. Jahrhundert über Zeitungskunde, Zeitungswissenschaft und Publizistik an den deutschen Hochschulen entwickelt hat. Im zweiten Teil werden zwei neuere, zueinander sich gegensätzlich verhaltende kommunikationstheoretische Entwürfe vorgestellt, deren Prämissen oder Axiome kritisch überprüft werden. Im dritten Teil schließlich wird jene Lehrmeinung, die hier als »kritisch-relativistische Theorie der Kommunikation« bezeichnet wird, so ausführlich entfaltet und konkretisiert, wie das nach Auffassung der Autoren für einen Einführungsband erforderlich ist.
Mit diesem Buch ist also weder ein historischer überblick, noch eine Exegese aller Ansätze, die sich heute mit Kommunikation befassen, beabsichtigt. Soweit Kritik an Theorien vorgetragen wird, soll sie der Klärung von Positionen dienen — einer der Gründe, weshalb wir Polemik weitgehend vermieden haben. Eine Synthese unterschiedlicher Lehrmeinungen ist nicht angestrebt.
Beide Autoren stimmen darin überein, daß die Kommunikationswissenschaft einen alltäglichen Gegenstand hat: die Prozesse der Mitteilung, deren Medien und Bedingungen. Mitteilung hat einen von Fall zu Fall näher zu begrenzenden Anteil an den Hervorbringungen, die als »Gesellschaft« auf ihre Produzenten zurückwirken, und auch diese Wirkung ist ohne Kommunikation nicht vorstellbar. Das meint Ithiel de Sola Pool, wenn er in einer Metapher formuliert: »Akte der Kommunikation können als der Faden beschrieben werden, der jede soziale Organisation zusammenhält, wenn nicht als das Skelett, das ihre Struktur bestimmt.«1 Ausdrucksweisen wie diese sind in der Wissenschaft häufig, wo ein Sachverhalt denkerisch zergliedert und eingeordnet ist, aber die Sprache mangels Neubildungen mit alten Bildern in Anspruch genommen werden muß. So sprechen die Atom-Physiker vom »Teilchen-Zoo«, Soziologen und Politologen behelfen sich mit »Bevölkerungs-Pyramiden«, »Unter-Klassen«, »Gipfel-Treffen« u.ä.
Mit diesen sprachlichen Entscheidungen sind schon die Möglichkeiten der Vermittlung abgesteckt: was darin als »gesellschaftliche Wirklichkeit« sich dem einzelnen darstellt, ist vergegenständlichte Kommunikation in Zusammenhang mit anderer Tätigkeit.
»Gesellschaftliche Wirklichkeit« ist vermittelte Wirklichkeit, ob diese Vermittlung über die bilderreiche Umgangssprache oder über karge Fachidiome mit entsprechend geringerer Zugänglichkeit erfolgt. Die Qualität einer Mitteilung ist mit ihrem Code untrennbar verknüpft: was in einem Idiom seinen Sinn hat, ist im anderen nicht aussprechbar, kaum denkbar, »unwirklich«.
Die Wissenschaft von der Kommunikation scheint, da sie es mit den alleralltäglichsten Vorgängen und Einrichtungen zu tun hat, in ihrem Ausdruck ungleich gefährdeter als andere Sozialwissenschaften, die bestimmte Institutionen oder isolierte Prozesse untersuchen. Wir sind der Meinung, daß dennoch eine Aussage möglich ist, die das Feld der Disziplin absteckt: der Mensch, als geselliges Wesen verstanden, teilt sich mit. Das Produkt ist intersubjektiv wahrnehmbare, »vergegenständlichte« Kommunikation. Der Mensch ist ein Produkt der Kommunikation. Diese drei Faktoren stehen in Wechselbeziehungen zueinander. Dem gibt die in der Kommunikationswissenschaft gängige Dreiteilung von Kommunikator, Medium und Rezipient Ausdruck. Analog haben sich Kommunikatorforschung, Inhaltsanalyse und Rezipientenforschung
entwickelt. Wir sind der Ansicht, daß verzerrte Ergebnisse herauskommen müssen, wo die Analyse übersieht, daß die Objektivität der Medien gesellschaftlich durch Kommunikation gemachte Objektivität ist; aber auch dort, wo Kommunikation als bloßer Beisatz zu anderen menschlichen Tätigkeiten verstanden wird, ist die Perspektive undiaIektisch verzerrt. Da der Mensch nicht nichtkommunizieren kann, kann er auch nichts tun, ohne zu kommunizieren: jedes humane Tun schließt Kommunikation ein. In diesem empirischen Sachverhalt liegt die Schwierigkeit der Klassifikation wie der Theoriebildung zur Kommunikation überhaupt.
Hanno Beth und Harry Pross,
Freie Universität Berlin, 18. 10. 1975
1lthiel de Sola Pool, Communication Systems, in: Pool, Schramm u. a., Handbook of Communication, Chicago 1973, S. 3.