Publizist ist kein richtiger Beruf, sondern nur eine Verlegenheitsbezeichnung für den Könner. Der P. ist zwar kein Schriftsteller, aber er kann über alles Mögliche schreiben. Ob er deshalb tatsächlich für die Öffentlichkeit schreibt, wie es die Herkunft des Wortes suggeriert, ist noch die Frage, jedenfalls beschäftigt er sich am liebsten mit den Themen, die die Allgemeinheit beschäftigen sollten. Von der Zeitung allein kann der P. nicht leben, doch gab es einmal einen richtigen Rundfunk und ein Publikum, das Max Benses hermetische Poetik ebenso dankbar aufnahm wie eine Debatte über die Gefahren des atomaren Wettrüstens. Da raschelte das Papier, da schwankte die Stimme, da schlängelten sich Bandwurmsätze aus dem Apparat, aus dem nur wenige Jahre zuvor noch das Bellen des gescheiterten Journalisten Joseph Goebbels gedrungen war.
Harry Pross arbeitete als Publizist vorwiegend für den Rundfunk. Er gehörte wie die Radioleute Joachim Fest, Hans Heigert und Günter Gaus zu den eher konservativen und deshalb umso einflussreicheren Widerständlern in Adenauers schier endloser Wohlstandsdemokratie. Durch ein Stipendium war der Kriegsheimkehrer früh in die USA gelangt, wo er nicht nur die McCarthy-Hysterie erlebte, sondern auch die Macht der öffentlichen Meinung, die sich diesem Staatsterroristen widersetzen konnte. Pross schrieb für den Rundfunk, er unterrichtete an der Ulmer Hochschule für Gestaltung, wurde Redakteur und Herausgeber der Deutschen Rundschau und 1963 Chefredakteur bei Radio Bremen. Als er den Sender nach fünf Jahren wieder verließ, verlor das Fernsehen wahrscheinlich seinen letzten Intellektuellen. Pross ging als Publizistik-Professor an die FU in Berlin, wo er unvermeidlich Leuten zur Promotion verhalf, die mit diesem Titel sogleich Rundfunkredakteur wurden und sich öffentlich-rechtlich zur Ruhe setzten.
Der Doktorvater hätte sich eine breitere Ausbildung für die Studenten gewünscht, hatten doch zu seinen eigenen Lehrern noch der Philosoph Karl Jaspers, der Soziologe Alfred Weber und der Jurist Gustav Radbruch gehört. In seinen Memoiren eines Inländers (1993) erinnerte er sich der Seligkeit des neugierigen, längst nicht zielgerichteten Lernens.
Der Publizist Harry Pross beschäftigte sich mit dem Phänomen des Kitsches nicht weniger interessiert als mit der Protestbewegung, befasste sich mit dem Anarchisten Erich Mühsam mit der gleichen leidenschaftlichen Neugier wie mit den immer wieder neuen Medien.
Nach seiner Emeritierung 1983 zog er sich ins Allgäu zurück, wo er in seinem Wohnort Weiler regelmäßig Publizisten und andere Intellektuelle zu den „Kornhaus-Seminaren“ versammelte. Am vergangenen Donnerstag ist der geistige Wiederaufbauhelfer Harry Pross im Alter von 86 Jahren gestorben.